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Coronavirus: Mentale Gesundheit an den Feiertagen

Datum:
Fachbereich:
Fachbereichsübergreifend
Gesellschaft:
Vitos Haina gGmbH

Die Infektionszahlen steigen rasant, weitreichende Einschränkungen sind die Folge. Weihnachten wird in Zeiten der Corona-Pandemie anders verlaufen als gewohnt. Diese Perspektive führt bei den meisten Menschen zu Unbehagen. Wie sich eine Balance zwischen Infektionsschutz und emotionalem Wohlergehen finden lässt, erläutert Dr. Svenja Kräling, leitende Psychologin der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina.

© © Voldodymyr Hryshchenko via Unsplash

Keine Weihnachtsfeiern, keine Weihnachtsmärkte. Und in den Gottesdiensten dürfen keine Adventslieder gesungen werden. Ist es normal, dass es uns ohne diese Rituale besonders schwerfällt, in die richtige Stimmung zu kommen?

Kräling: Die Adventszeit ist jedes Jahr wieder besonders (schön), weil wir uns das ganze Jahr über auf die Bräuche und Rituale freuen können, die eben nur jetzt stattfinden. Fallen Weihnachtsmarkt, gesellige Firmenfeiern und feierliche Gottesdienste weg, fehlt einfach der Startschuss in die Weihnachtszeit.

Ist es umso wichtiger, nicht die Einschränkungen zu beklagen, sondern eine positive Haltung zu entwickeln – denn die Adventszeit ist ja die Zeit der Vorfreude?

Kräling: Weihnachtslieder, Plätzchen- und Glühweinduft läuten unsere Vorfreude und das Warten auf Weihnachten ein. Von den Kindern können wir uns gut abschauen, wie ganz einfache Dinge der Zeit des Wartens auf Weihnachten Struktur geben: Adventskalender, das Entzünden jeder neuen Kerze auf dem Adventskranz und das Schmücken der Wohnung signalisieren: „Bald ist es soweit!“

Eindringlich appelliert die Politik, konsequent Abstand zu wahren. Warum fällt uns dies an Weihnachten besonders schwer?

Kräling: Weihnachten ist einfach das Fest der Familie, gerade in schweren Zeiten fühlen wir den drängenden Wunsch, näher zusammenzurücken. Wenn wie jedes Jahr die ganze Welt für ein paar Tage innehält, besinnen wir uns wieder mehr auf die für uns wichtigen Werte. Mehr Zeit mit Familie und Freunden verbringen, ein sicherer Arbeitsplatz und vor allem Gesundheit. Dieses Jahr wird besonders deutlich, wie schützenswert diese Bedürfnisse sind.

Größere Zusammenkünfte mit der Verwandtschaft sind dieses Jahr nicht möglich. Wie kann es dennoch gelingen, die gewünschte Nähe zu erleben?  

Kräling: Durch gute Planung. Ich würde mir bereits jetzt Gedanken machen, wie die Feiertage gestaltet werden könnten. Auf wen kann ich wirklich nicht verzichten? Wen möchte ich in welchem Rahmen besuchen oder empfangen? Welche Vorbereitungen kann ich treffen, um möglichst „sicher“ mit meinen Lieben Weihnachten feiern zu können? Die große Herausforderung besteht darin, dass jeder für sich eine gute Balance zwischen Infektionsschutz und emotionalem Wohlergehen finden muss.

Wie können Oma und Opa gut damit umgehen, wenn die Kinder nicht zu Besuch kommen? Was sollten wir tun, um Oma und Opa – vielleicht trotz Abstand – in das Fest zu integrieren?

Kräling: Ich finde die strikte Abschottung von Risikogruppen nicht nur an Weihnachten kritisch. Ohne Frage ist Infektionsschutz wichtig – darüber sollten wir aber auch andere elementare menschliche Bedürfnisse wie nach Nähe, Austausch und Zugehörigkeit nicht vergessen. Fragt man Oma und Opa, können diese meist sehr klar sagen, was ihnen wichtiger ist. Ist ein Treffen mit weiter entfernten Freunden oder Verwandten nicht möglich, könnte man auch überlegen, ob es digitale Lösungen gibt: zum Beispiel indem man Tante Ilse per Videokonferenz mit an den Tisch setzt oder an der Bescherung teilhaben lässt.

Vermutlich werden die Feiertage entschleunigter verlaufen als sonst – könnte man diesem Umstand nicht auch viel Positives abgewinnen?

Kräling: Nicht jeder wird traurig sein über eine diesmal wirklich besinnliche Adventszeit. Für viele ist die „Besuchs-Tour“ in der gesamten Verwandtschaft an den Feiertagen oder der Besuch von etlichen Weihnachtsfeiern in Vereinen, Schule, Kindergarten etc. mehr Pflicht als Herzensangelegenheit.

Der Gedanke daran, ausgerechnet an Weihnachten nicht alle lieben Menschen um sich zu haben, belastet. Haben Sie Tipps, die dabei helfen, die düsteren Gedanken zu vertreiben?

Kräling: Wir können es uns zu Nutze machen, dass die Weihnachtsstimmung so stark von Ritualen beeinflusst wird. Backen Sie Plätzchen, machen Sie es sich mit einem schönen Tee bei einem guten Buch gemütlich. Allein der Duft von Zimt und Vanille wirkt unmittelbar stimmungsaufhellend. Sanftes Kerzenlicht und dazu vielleicht noch ein paar Weihnachtslieder tun ihr Übriges. Und gehen Sie regelmäßig raus: Frische Luft und Bewegung verbessern nicht nur Ihr Wohlbefinden, sondern wirken gleich auch noch „präventiv“ gegen die gefürchteten Weihnachtspfunde.

Wo bekomme ich Hilfe, wenn sich über die Festtage Verzweiflung breitmacht?  

Kräling: Zunächst mal sollte sich niemand schämen, wenn ihm an Weihnachten die Decke auf den Kopf fällt. In dieses Fest werden so viele Erwartungen projiziert, dass Enttäuschungen oder auch mal Streit vorprogrammiert sind. Hält man es alleine nicht aus, sollte man den Schritt nach vorne wagen und Kontakt zu Familie oder Freunden suchen. Kommt es zu einer ernsthaften psychischen Krise, die Sie alleine nicht mehr auffangen können, bieten Telefonseelsorge (Telefonnummer: 0800 - 111 0 111), der Ärztliche Bereitschaftsdienst (116117) oder im Notfall der Kontakt zu Rettungsdienst (112) oder einer psychiatrischen Klinik (Vitos Haina: 06456 ‐ 910) jederzeit schnelle Hilfe.

Zur Person: Dr. Svenja Kräling

Dr. Svenja Kräling (38) ist leitende Psychologin in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina. Ihr Studium und die nachfolgenden Weiterbildungen zur Psychologischen Psychotherapeutin und Supervisorin (VT) hat sie in Marburg und Bad Dürkheim absolviert. Seit 2009 ist sie in der Hainaer Klinik therapeutisch tätig.

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