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Coronavirus: Wie sich die Kontaktbeschränkungen auf die Vereine auswirken

Datum:
Fachbereich:
Fachbereichsübergreifend
Gesellschaft:
Vitos Haina gGmbH

Wegen des Coronavirus und den damit verbundenen Auflagen ist das Vereinsleben fast zum Erliegen gekommen, viele Vereine mussten lang geplante Veranstaltungen absagen. Warum wir unseren Hobbys am liebsten im Verein nachgehen und warum uns die Treffen, gemeinsamen Aktionen oder Übungsabende aktuell so fehlen, erklärt Dr. Svenja Kräling, leitende Psychologin in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina.

© Anupam Mahapatra via Unsplash

Corona hat auch vor den Vereinen nicht Halt gemacht: kein Training, keine Übungsstunde, keine Treffen? Wie groß ist die Entbehrung für Vereinsmenschen?

Kräling: Vereine erfüllen viele Funktionen und tragen über diese „Rund-um-Versorgung“ zu unserem Wohlbefinden bei. Sie bieten Möglichkeiten zum geistigen oder körperlichen Training sowie zum sozialen Miteinander. Hier kann man sich in kreativer Atmosphäre unter Gleichgesinnten dem eigenen Hobby widmen und gemeinsam auf ein Ziel wie etwa einen sportlichen Wettkampf oder ein Konzert hinarbeiten. Daher stellt die vereinsfreie Zeit gerade für diejenigen, die sonst nur wenig soziale Kontakte haben oder denen es an einer Tagesstruktur mangelt, wie zum Beispiel älteren Menschen, eine große Einschränkung dar.

Was fehlt mehr? Das Fußballspielen, Singen, Wandern – oder die gemeinsame Zeit mit lieb gewonnenen Vereinskollegen? 

Kräling: Musizieren, Sport oder andere Beschäftigungen mit hohem Freizeitwert kann man sicherlich auch alleine betreiben. Was den Verein jedoch ausmacht, ist das Gemeinschaftsgefühl und der soziale Austausch. Wer schon einmal in einem Orchester mitgespielt oder ein Turnier in einer Sportmannschaft bestritten hat, kann „ein Lied davon singen“ wie eng dies zusammenschweißt. Ein Verein ist dann mehr als die Anzahl seiner Mitglieder. Durch gemeinsame Interessen entstehen schnell Freundschaften, die durch die Kontaktsperre aktuell schwerer zu pflegen sind als bisher.

Statistisch gesehen ist jeder Deutsche in mindestens einem Verein Mitglied. Aus psychologischer Sicht: Warum zieht es uns in Vereine?

Kräling: Ein Stück weit ersetzen Vereine die Großfamilie, die heute ja nur noch selten zusammenlebt. Der Mensch als soziales Wesen sucht die Zugehörigkeit zu einer festen Gruppe. Mitglied einer Gemeinschaft wie einem Sportverein, einer Band oder einer Theatergruppe zu sein gibt uns ein Stück Identität. Gemeinsame Ziele festigen den Zusammenhalt und das „Wir“-Gefühl. Auch die Abgrenzung gegenüber anderen Teams, etwa der gegnerischen Fußball-Mannschaft, schweißt zusammen. Alle Mitglieder kooperieren für das gemeinschaftliche Ziel und können dann die Freude über einen Erfolg teilen. Eine großartige Motivation einem Verein beizutreten!

Haben Sie Tipps, wie die vereinsfreie Zeit kompensiert werden kann? 

Kräling: Ich rate dazu, die eigenen Hobbys alleine weiter zu betreiben, um nicht aus der Übung zu kommen. Apropos: Man kann die freie Zeit gut nutzen, um zum Beispiel schwierige Liedpassagen etwas intensiver zu üben oder ohnehin längst überfällig Wartungsarbeiten an der Wanderausrüstung durchzuführen. Halten Sie gerne auch ohne die formale Struktur des wöchentlichen Vereinstreffens Kontakt zu den Vereinskameraden und tauschen Sie sich weiterhin aus. Vielleicht tut es aber auch gerade mal ganz gut, eine Pause vom Vereinsleben einzulegen, damit man sich nach Corona wieder auf ein Wiedersehen freuen und voller Elan durchstarten kann.

Also raten Sie dazu, trotz Kontaktbeschränkungen wenigstens digital in Kontakt zu bleiben: etwa in Facebook- oder WhatsApp-Gruppen?  

Kräling: Viele Vereine praktizieren das bereits so. Ich kenne Gruppen, die sich zum Crossfit (Fitnesstraining) im eigenen Wohnzimmer oder Garten verabreden und dies über eine Videokonferenz koordinieren. Einige Orchester führen die beliebten „Wohnzimmerkonzerte“ durch und Ortsverschönerungsvereine koordinieren sich über Facebook. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und die digitalen Medien sind sehr gute Möglichkeiten, unsere Freizeitinteressen trotz bestehender Kontaktbeschränkungen weiter zu verfolgen.

Jeden Abend um 19 Uhr erklingen die Blechblasinstrumente: in vielen Dörfern im Frankenberger Land ist dies zu einem geschätzten Ritual in der Corona-Zeit geworden.  Warum setzen sich Vereine so stark für die Allgemeinheit ein?

Gerade in Zeiten wie diesen rücken Solidarität und Gemeinsinn wieder in den Vordergrund. Im ländlichen Raum leisten Vereine schon immer einen wichtigen Beitrag zur Dorfgemeinschaft. Ein buntes Mosaik aus Gesangs-, Sport- und Kulturvereinen bildet das Dorfleben ab, jeder Ort hat sein eigenes Angebot. Ursprünglich gehörte die Gemeinnützigkeit auch zum Kerngedanken von Vereinen. Neben der Interessensgemeinschaft stand der Aufbau und Erhalt von Gemeingütern sowie die Fürsorge für alle Gemeindemitglieder im Vordergrund. Daher ist es nur natürlich, dass die Vereine jetzt aktiv werden, um trotz Kontaktsperre etwas Gutes bewirken zu können.

Zur Person: Dr. Svenja Kräling

Dr. Svenja Kräling (38) ist leitende Psychologin in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina. Ihr Studium und die nachfolgenden Weiterbildungen zur Psychologischen Psychotherapeutin und Supervisorin (VT) hat sie in Marburg und Bad Dürkheim absolviert. Seit 2009 ist sie in der Hainaer Klinik therapeutisch tätig.

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