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Unternehmensgeschichte

Krankenhausstandort seit 1533

Die Einrichtung des Hospitals in Haina war ein Element der Neuordnung in der Versorgung armer und kranker Menschen im gesamten hessischen Territorium. Als die Klöster aufgelöst wurden, fielen karitative Aufgaben in die Hand der weltlichen Ordnung, d.h. die Landgrafen entwickelten ein neues System der Armenpflege in Hessen. Dazu gehörte z.B.

  • der Ausbau und die Ordnung des Kastenwesens (die Pfarreien sollten über genügend Almosen für die Armen verfügen),
  • die Verbesserung der bereits bestehenden städtischen Hospitäler und
  • die Neugründung von Hospitälern in Städten, wo sie noch fehlten sowie
  • die Gründung von vier landgräflichen Hohen Hospitälern.

Diese territorialen Hospitäler entstanden 1533 in Haina in Oberhessen und in Merxhausen in Niederhessen, 1534 in Hofheim bei Darmstadt in der Obergrafschaft Katzenelnbogen und 1542 in Gronau bei Sankt Goar in der Niedergrafschaft Katzenelnbogen. Gronau wurde im 30-jährigen Krieg aufgelöst.

Die Hospitaliten und ihre Unterbringung

Haina war als Hospital für arme, alte und gebrechliche Männer konzipiert. Bald nahm die Einrichtung aber auch Waisen und Findelkinder auf, zudem kamen gegen Bezahlung melancholische und wahnsinnige Bewohner aus diversen Städten in Haina unter. Alle mussten ihr Vermögen bzw. ihren Erbteil in das Hospital einbringen. Über die Aufnahme entschieden die Landgrafen. Sie prüften persönlich die schriftlichen Bittgesuche der Betroffenen oder der Angehörigen und die Kommentare der Pfarrer, Amtsleute und Bürgermeister. Armut und Krankheit, christlicher Lebenswandel und Verdienste für die Landgrafschaft spielten für die positive Entscheidung eine Rolle.

Erst ab 1728 forderte das Hospital auch Atteste von Ärzten. Die Hospitaliten waren alte Männer ohne versorgende Familie, durch Krankheit oder Unfall gebrechliche Menschen, Blinde, Taube und Lahme, Epileptiker oder „Sinnenlose“ und „Wahnsinnige“. Anträge auf Aufnahme ins Hospital gingen sehr zahlreich ein. Das ursprünglich für 100 Personen gedachte Hospital unterhielt schon 1550 176 Personen. Nach dem 30-jährigen Krieg lebten sogar über 300 Hospitaliten in Haina, 1803 fast 400. Gelegentlich wurden auch Frauen aufgenommen. Das waren meist Frauen, die die Pflege ihrer Männer mitübernahmen, und Frauen, die die Arbeit im Wasch- oder Viehhaus erledigten.

Räumlichkeiten

Untergebracht waren die Hospitaliten in den Räumen der Kreuzganggebäude. In dem ehemaligen Refektorium (heute Winterkirche) befand sich wahrscheinlich die „Große-“ oder „Brüderstube“ für noch arbeitsfähige Männer. Zudem:

  • Eine Stube (vielleicht der ehemalige Kapitelsaal) nahm Blinde und Epileptiker auf.
  • Eine weitere Stube, wahrscheinlich die ehemalige Parlatur (heute Museum), diente bettlägerigen kranken Männern.
  • Im „Gewölbe“, das wohl über den Kapitelsaal (heute Konferenzraum) zugänglich war, waren „wahnsinnige“ und „mondsüchtige“ Leute, die rasten, sowie andere „Stumme“, „Taube“ und sonstige „elende Arme“ zum Teil an Ketten untergebracht (Beschreibung nach Pfarrer Letzner, 1588).

Im 16. Jahrhundert kam ein „Blockhaus“ hinzu, in dessen massivem Unterbau eine fünfte Stube eingerichtet wurde. Darin lebten die „rasenden Leut“ in verschlossenen Käfigen, die über dem Bach Wohra hingen. „Drey eisern offen“ sollten den Bedauernswerten Wärme spenden. Diese Kisten dienten aber auch dazu, Strafgefangene unterzubringen, die nicht zum Hospital gehörten.

1556 baute das Hospital zudem ein Leprosenhaus, in dem sich 1588 18 Aussätzige befunden haben sollen. Letzte Neubauten des Hospitals waren ein dreistöckiger Ziegelbau mit vielen kleinen Stuben (er wurde 1876 abgebrochen) für zwei bis vier Pfleglinge und ein Erweiterungsbau am Westflügel des Klosters – der „Honoratiorenbau“ für Hospitaliten von Stande (Abriss zwischen 1850 und 1860).

Tagesablauf

Der Tagesablauf der Hospitaliten war bestimmt durch Gebet, Seelsorge und Arbeit. Allgemein blieb die Armen- und Krankenfürsorge lange Zeit der christlichen Tradition verbunden. Dem Pfarrer fiel eine zentrale Rolle zu, ihm zur Seite gestellt war ein „Lektor“ oder Leser, der gleichzeitig Schulmeister war.

Der Tagesablauf der Hospitaliten glich in vielem dem der Mönche. Es wurde regelmäßig gemeinsam gebetet oder aus der Bibel vorgelesen. Wer Gebet oder Predigt versäumte, musste mit harten Strafen rechnen, bei Ungehorsam gegenüber dem Pfarrer erhielt der Hospitalit eine Gefängnisstrafe oder Verweisung aus dem Hospital.

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung der Kranken spielte nur eine nachgeordnete Rolle und bezog sich überwiegend auf körperliche Krankheiten und Gebrechen. Ein Barbier bzw. Bader ließ die Hospitaliten regelmäßig zur Ader, schröpfte oder badete sie. Bei den langwierigen Leiden bestand zumeist schon bei Eintritt in das Hospital keine Hoffnung mehr auf Heilung. Turnusmäßig besuchte ein studierter Arzt das Hospital, erst ab 1821 besaß Haina einen im Hospital ansässigen Mediziner und 1891 wurde der erste ärztliche Direktor als Leiter eingesetzt.

Für die tägliche Pflege und nächtliche Betreuung der Hospitaliten waren „Aufwärterehepaare“ zuständig. Sie hatten keine spezielle Ausbildung, sollten aber „gottesfürchtige“ und „verständige“ Menschen sein und keine kleinen Kinder haben.

Ernährung

Die Hospitaliten wurden während der frühen Neuzeit in der Regel weit besser ernährt als die übrige arme Bevölkerung. Es gab in Haina wöchentlich drei Fleisch- und vier Fisch- oder Käsetage. Hinzu kamen Suppe und Gemüse, als Getränke Bier und gelegentlich Wein. Täglich gab es zwei große Mahlzeiten. Entgegen der ursprünglichen Hospitalordnung gab es schon früh verschiedene Verköstigungsgruppen und unterschiedliche Kleidung.

Einen großen Teil der Versorgung des Hospitals (und alltäglichen Arbeit) leisteten die Hospitaliten selbst – was, neben dem Beten, Zeichen eines gottgefälligen Lebens war. So arbeiteten die Hospitaliten in Küche und Keller, Backhaus, Mühle, dem Woll- und Leineweberhaus, in der Schreinerei. Sie halfen bei leichten Feld und Grabarbeiten, hüteten Vieh, spannen Wolle und Flachs u.v.a.

Hospitalversorgung und Hospitalverwaltung

Neben der Arbeit, die die Patienten bewältigten, fielen die anderen Arbeiten den Bediensteten zu – oder in der Landwirtschaft den Pächtern. Das Hainaer Hospital hatte bei seiner Gründung etwa ein Fünftel des alten klösterlichen Besitzes behalten. Die Waldungen, Weiden, Wiesen, Gärten, dazu Ackerland und Gewässer pachteten zum Teil Bauern aus der Umgebung. Einige von ihnen waren sogar Leibeigene des Hospitals. Den anderen Teil bestellten Dienstpflichtige in Eigenwirtschaft.

Zu dem Besitz des Hospitals zählten auch Eisengruben. Freiberuflich arbeitende Bergleute schürften dort Eisenerz, was dann zur Weiterverarbeitung in die Hammerwerke und Schmelzhütten des Hospitals in Dodenhausen, Fischbach und Rommershausen kam. Die Hütten wurden jedoch im 19. Jahrhundert endgültig geschlossen.

Die Oberaufsicht über das Hospital hatte der Obervorsteher. Das waren häufig verdiente Hauptleute oder Offiziere, die zusammen mit ihren Ehefrauen die Verwaltungsgeschäfte des Hospitals leiteten. Dem Obervorsteher unterstanden bis 1810 die Bediensteten der vier Hospitäler, die Untertanen in den Hainaer Dörfern (die der Gerichtshoheit unterstellt waren) und die Hospitaliten. Die Gerichtshoheit lag zuerst in Haina, später in der Ortschaft Rosenthal.

Erst Ende des 17. Jahrhunderts zog der erste Obervorsteher nach Haina, seine Vorgänger hatten bis dahin auf ihren Landsitzen gelebt und waren nur zweimal wöchentlich nach Haina gekommen. Dem Obervorsteher zur Seite standen der „Rentmeister“, der „Amtsvogt“, der „Fruchtschreiber“ und der Pfarrer.

Die Entscheidung über wichtige Verwaltungsangelegenheiten und die Aufnahmeanträge für die Hospitaliten lag jedoch beim Landgrafen. Landgräfliche „Räte“ und „Diener“ prüften jährlich in Haina und den anderen Hohen Hospitälern die Rechnungen.

Vom Hospital zum Krankenhaus

Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich die Zusammensetzung der Hospitaliten immer mehr in Richtung der „Geisteskranken“ verschoben. So stieg im 18. Jahrhundert der Anteil von Melancholikern, Wahnsinnigen, geistig Verwirrten und Epileptikern stark an. Zunehmend stand das ärztliche Attest bei der Aufnahme ins Hospital im Vordergrund, ab 1821 lebte und praktizierte ein Arzt in Haina.

Ende des 18. Jahrhunderts begann sich die Psychiatrie zu einer selbstständigen Wissenschaft zu entwickeln. Bedeutsam für sie war die Aufklärung, die den Gedanken der Erziehung in die Psychiatrie trug. Legendär in der Psychiatrie-Geschichtsschreibung ist die Befreiung der Kranken von den Ketten, die der Arzt Philipp Pinel während der französischen Revolution 1794 in Paris durchführte. 1805 wurden die Geisteskranken in Bayreuth von ihren Ketten befreit, 1830 die in Haina.

Das Verhältnis zu den nun als geisteskrank bezeichneten Menschen veränderte sich, als wissenschaftliche Studien über Krankheitsbilder aufkamen. Wissenschaftler beobachteten das Verhalten der „Geisteskranken“ und sezierten die Leichen zum Zweck der Forschung: Hospitaliten aus Haina wurden so seit Ende des 18. Jahrhunderts in das Anatomische Institut der Marburger Universität abgegeben.

Eine weitere Entwicklung vollzog sich schrittweise: „Geisteskranke“ wurden zunehmend von den körperlich Kranken abgesondert und in eigenen „Irrenanstalten“ untergebracht. Haina war ab 1815 zunächst eine „Pflege- und Versorgungsanstalt für presshafte und insbesondere verrückte, wahnsinnige, hilflose, blinde und epileptische Personen“. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem Hessen 1866 preußisch geworden war, erging eine klare Zweckbestimmung zugunsten der „Irrenpflege“.

Unterbringung und Verpflegung

Im 19. Jahrhundert erhielten alle Insassen ein Bett, das aus einer „haarenden Matratze“ (mit Wolle gefüllt), einem Oberbett, einem Kissen, einer wollenen Decke, zwei Betttüchern und einem Kissenbezug bestand. Beständig Bettlägerige waren in großen Räumen untergebracht (für die Honoratioren gab es einen eigenen Bau). In 1800 versorgten nur sechs Wärter die Kranken. Sie mussten sie waschen, anziehen und füttern, auch die Räume heizen, reinigen und regelmäßig mit Essig oder Wacholderbeeren ausräuchern, um üble Gerüche zu überdecken. Aufwärterinnen teilten morgens um zehn Uhr und abends um fünf Uhr die Speisen aus. Die Speisegeräte der Hospitaliten bestanden für jede Person aus zwei hölzernen Schüsseln, einem hölzernen Teller und einer hölzernen Kanne für Bier. Personen „mit Distinction“ erhielten Zinngeschirr. Die Kleidung war aus wollenem Tuch, die Hemden aus „geringem Leinen“.

Die neuen „Curmethoden“

Die Theorien der Aufklärung bewirkten eine moralische Betrachtung der Geisteskranken, an die sich eine moralische Behandlung anschloss. Therapie und Strafe lagen nahe beieinander. So fanden auch erzieherische Methoden Anwendung, um Geisteskranke zu bestrafen – dazu gehörten vor allem Zwangsmittel als Instrumente. Hatten bis dato die Hospitalinsassen zur Strafe weniger Nahrungsmittel, Arrest oder Schläge erhalten, wurden sie nun in den Zwangsstuhl, den Stehkasten oder die Zwangsjacke gesteckt.

Das herausragende therapeutische Prinzip dieses psychiatrischen Ansatzes war, die Insassen durch Erschöpfung oder Fixierung zu beruhigen. Die Patienten wurden Torturen ausgesetzt, die an die Grenzen des Aushaltbaren gingen. Diese Beruhigung durch Erschöpfung erreichte man meist durch starkes Drehen des Patienten, das Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen hervorrief. Instrumente dafür waren Drehstuhl, Drehmaschine (Drillitz), die im Hainaer „Lazareth“ in Boden und Decke verankert war, und das „Hohle Rad“, das von außen gedreht wurde. Zwangsstuhl, Zwangsjacke und Zwangsbett dienten der Fixierung.

Der Zwangsstuhl, Anfang des 19. Jahrhunderts vom Arzt Benjamin Rush erfunden, erhielt den Namen „tranquillizer“. Mit ihm arbeitete das Hainaer Hospital seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, erst gegen die Jahrhundertwende wurde er endgültig abgeschafft. Die Anwendung dieses Instrumentes war auch unter Psychiatern umstritten. In Haina starb 1853 ein Patient in dem Zwangsstuhl, in dem er neunundzwanzig Stunden angeschnallt gesessen hatte.

In Haina ordneten Ärzte die Zwangsmittel an, Pfleger führten sie aus. 1850 waren 300 bis 500 Hospitaliten (nun auch Pfleglinge genannt) im Hainaer Hospital. 14 Wärter bzw. Aufwärter und ein Arzt standen zu ihrer Pflege und Betreuung zur Verfügung.

Die „Freieren Behandlungsmethoden“

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten bedeutende deutsche Psychiater wie Wilhelm Griesinger und Emil Kraepelin Theorien und Therapien für die Psychiatrie. Griesinger ging davon aus, dass Geisteskrankheiten überwiegend Erkrankungen des Gehirns seien und entwickelte auf dieser Basis sein Lehrbuch „Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten“ (1845). Kraepelin verfasste ein „Compendium der Psychiatrie“ (1883) und war ein Verfechter der Prävention und Diagnostik von Geisteskrankheiten, die er zeitlebens beobachtete und systematisierte. Aufgrund seiner empirischen Studien entwickelte er ein teilweise bis heute diskutiertes Schema der einzelnen Krankheitsbilder. Griesinger sprach sich – an die non-restraint-psychiatry (freie Behandlung) des Engländers John Conolly anknüpfend – gegen Zwangs- und Strafmittel aus und empfahl stattdessen Bäder und Opium.

Nachdem der Zwangsstuhl abgeschafft war, setzte Haina vermehrt „freie Behandlungsmethoden“ ein. Um die Patienten zu beruhigen, erhielten sie Dauerbäder. Dabei mussten die Pfleglinge den ganzen Tag in einem lauwarmen Bad sitzen. Über die Wanne war ein Tuch gespannt, aus dem nur der Kopf herausragte. Auch die Mahlzeiten mussten sie im Bad einnehmen. Ende des Jahrhunderts kam die Wachsaalbehandlung hinzu, d.h. die Patienten lagen den ganzen Tag im Bett – oder bei gutem Wetter im Freien. Für die Aufsicht der Patienten war diese Behandlung aus Sicht der Krankenhausleitung von Vorteil, weil sie wenig Personal erforderte.

Auch setzten sich um die Jahrhundertwende die Anfänge einer Familientherapie durch. Kranke wurden in Familien untergebracht, die nahe beim Hospital wohnten, damit eine Betreuung durch den Arzt weiter gewährleistet war. Die Zahl der Patienten, die in Hainaer Familien lebten, war jedoch gering.

Gleichzeitig reduzierte man die Isolierung einzelner Patienten und „harmlose“ Kranke erhielten freien Ausgang.

Die Verwaltung

Die Verwaltung des Hainaer Hospitals ging 1867 auf den Kommunalverband Kassel über (Gründung: Nachdem Kurhessen preußisch geworden war – Provinz Hessen-Nassau). 1876 wurde in Marburg eine weitere „Irrenanstalt“ eingerichtet, die neben Haina und Merxhausen für die psychiatrische Versorgung der Bevölkerung Nordhessens verfügbar war. Die Einrichtung der – als moderne Heilanstalt konzipierten – Anstalt Marburg hatte allerdings zur Folge, dass Haina und Merxhausen als Pflegeanstalten nur noch unheilbar Kranke aufnehmen durften. Erst 1927 endete diese Regelung und alle drei Einrichtungen erhielten den Namen „Landesheil- und Pflegeanstalt“.

In den drei nordhessischen Anstalten lebten 1890 insgesamt 1.144 Geisteskranke, davon 447 in Haina.

In Haina hatte es um die Jahrhundertwende viele Neubauten gegeben, sodass die Aufnahmekapazität erhöht werden konnte. Typisch für diese Bauphase sind die fünf Neo-Renaissance-Bauten aus Natursteinquadern mit flachgeneigten Dächern, die heute noch stehen. Das erste dieser repräsentativen Krankengebäude (Bauzeit 1881 bis 1885) steht im Eingangsbereich des heutigen psychiatrischen Krankenhauses.

Die Jahre 1900 bis 1953

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vergrößerte sich die Anstalt Haina beträchtlich: Die Zahl der Pfleglinge stieg auf fast 1.000, allerdings lebten davon nur ca. 800 in der Anstalt selbst. Die anderen Kranken lebten in kirchlichen Anstalten oder in der Familienpflege oder sie befanden sich im Urlaub. Zu den Handwerks- und Gutsbetrieben, die die eigene Versorgung sicherten, kamen nun auch Produktionsstätten für Güter zum Weiterverkauf hinzu, z.B. eine Korbflechterei, eine Werkstatt, in der Zigarren hergestellt wurden (1914: 48.185 Stück) und eine Bürstenbinderei.

Der erste Weltkrieg

Mit Beginn des ersten Weltkrieges wurde auch in Haina ein Lazarett für ca. 40 Soldaten eingerichtet. Das Leben der Patienten verschlechterte sich. Durch den Krieg bedingt waren Lebensmittel knapp, was auch eine Hebung der Verköstigungssätze nicht ausgleichen konnte. Die Todesrate der Patienten stieg bei sinkender Belegung fast auf das Dreifache der Vorkriegszeit an. Die Zahl der Aufnahmen ging drastisch zurück.

Die mangelhafte Ernährung der Kranken machte sie anfälliger für Infektionskrankheiten wie Tuberkulose. Nach Ende des Krieges besserte sich die Lage wieder. 1919 schrieb der Anstaltsleiter in Haina: „Die Ernährungsverhältnisse waren gegen das Vorjahr ganz erheblich gebessert, was ein Hauptgrund für die schon erwähnte Abnahme der Sterblichkeit darstellt ...“ Die bessere Ernährung bewirkte auch, dass die Zahl der arbeitenden Kranken im Allgemeinen erheblich zunahm. Sie betrug im Durchschnitt 50 Prozent und erreichte zeitweise einen noch höheren Prozentsatz.“ (Zahlen und Zitat aus: Verhandlungen des Kommunallandtages für den Regierungsbezirk Cassel in den Jahren 1915–1921)

Psychiatrische Reformen in den 20er und 30er Jahren

In den 20er Jahren setzte sich in der Psychiatrie die „aktivere Therapie“ nach dem Konzept des Gütersloher Psychiaters Hermann Simon durch. Das Ziel dieser Behandlung: die Patienten zu beschäftigen, damit sie Ruhe, Ordnung und soziales Einordnungsvermögen üben konnten. Das Konzept verstand Arbeit als Therapie. Dies war ein erster Schritt auf dem Weg zur modernen Arbeits- und Beschäftigungstherapie: Beschäftigung diente nicht nur dazu, nötige Arbeiten im Krankenhaus zu verrichten, sondern sie diente dem Wohl des Patienten.

In der Umbenennung der „Irren“ in „Geisteskranke“ Ende der 20er Jahre manifestierte sich das neue Verständnis für die Kranken.

In den 30er Jahren entwickelten sich die „Schockmethoden“ als Therapien und die Kliniken sowie Anstalten setzten sie ein. Injektionen von Insulin oder Cardiazol riefen künstlich Krampfanfälle hervor und die sollten eine krankheitsdämpfende oder heilende Wirkung haben. 1939 schockte man mit Elektrizität.

Die Schocktherapien waren für die Patienten risikoreich und strapaziös. Haina verwendete ab den 30er Jahren Elektroschocks und Insulinkuren zur Therapie. Wegen der Insulinknappheit wurden die Kuren ab Kriegsbeginn eingeschränkt.

Die Zeit des Nationalsozialismus

Die dunkelste Zeit der Psychiatrie begann 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Der Kommunallandtag des Bezirksverbandes Kassel wurde aufgelöst und die Verwaltung dem Oberpräsidenten, Prinz Philipp von Hessen (einem überzeugten Nationalsozialisten) unterstellt.

Die NS-Ideologie bezeichnete psychisch kranke und geistig behinderte Menschen als „lebensunwert“, „minderwertig“ und „Ballastexistenzen“. Schulbücher, Propagandafilme und Ausstellungen diffamierten die Insassen von Anstalten und stuften sie als „erbkrank“ ein. Diese Tendenz bereitete die Ermordung der Geisteskranken vor, die für das Volksganze nun „unnütze Esser“ waren.

1934 trat das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft. Tausende von Pfleglingen wurden zwangssterilisiert, weil sie angeblich erbkrank waren. In Hessen setzte 1937 das „Führerprinzip“ ein, das kirchliche Pflegeheime unter staatliche Verwaltung stellte. 1939 begann mit dem zweiten Weltkrieg der Vernichtungsfeldzug gegen die Anstaltsinsassen. Sie wurden per Meldebogen systematisch erfasst und – unter Vortäuschung kriegswichtiger Gründe – erst in Zwischen- und dann in Tötungsanstalten verlegt. Dazu hatten die Kanzlei des Führers und das Reichsministerium des Inneren eine geheime Organisation in Berlin aufgebaut, die das sogenannte „Euthanasie“-Programm bis zum Kriegsende steuerte. Etwa 200.000 Menschen fielen diesem Krankenmord zum Opfer.

Die NS-Zeit in Haina

Erstes Anzeichen für die sich verschlechternde Situation der Hainaer Patienten war, dass die Pflegesätze kontinuierlich sanken – weshalb die Verköstigung reduziert werden musste. Auch in Haina wurden ab 1934 Patienten zwangssterilisiert. Ab 1937 stieg die durchschnittliche Belegungsstärke der Heilanstalt von 800 auf etwa 1.200 Personen. Ursache dafür waren sogenannte Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Anstalten. Sie ergaben: Man könne noch mehr Menschen auf noch engerem Raum unterbringen, damit alle Kapazitäten ausgelastet wären. So wurden immer mehr Pfleglinge aus kirchlichen Anstalten wie dem St. Antoniusheim aus Bethel und Hephata bei Treysa zwangsweise nach Haina verlegt. Die Menge des Personals hingegen sank – mit Kriegsbeginn wurden viele Pfleger eingezogen.

Im Reservelazarett waren zwischen 300 und 600 Betten verfügbar. Ab 1937 lebten Patientinnen aus Merxhausen als Arbeitskräfte für die Hauswirtschaft in Haina, auch männliche Häftlinge aus der Korrigenden- und Landarmenanstalt Breitenau mussten hier arbeiten.

Die Patienten lagen in Doppelstockbetten auf Strohsäcken, was die hygienischen Bedingungen erheblich verschlechterte. Das Durchschnittsgewicht der Insassen sank von 62,5 Kilogramm (1937) auf 58,1 Kilogramm (1943). Die Situation verschärfte sich weiter mit der Einrichtung eines Lazaretts in Haina. Hintergrund: Ebenso wie im ersten Weltkrieg wurden auch im zweiten Weltkrieg Betten für Kriegsverletzte freigemacht und die Anstaltsinsassen auf engerem Raum untergebracht. Besonders in harten Wintern kam es zu Ernährungsengpässen und die Kranken starben vermehrt an Erkältungskrankheiten und Marasmus. Die durchschnittliche Todesrate von vier Prozent in den Vorkriegsjahren stieg ab 1939 an. Höhepunkte waren in den Jahren 1940 (13,8 Prozent), 1944 (11,4 Prozent) und 1945 (17 Prozent). Noch höhere Todesraten von bis zu 30 Prozent Sterbefälle pro Jahr gab es z.B. in der Landesheilanstalt Merxhausen und von 40 Prozent in der südhessischen Landesheilanstalt Weilmünster.

Die „Euthanasie“-Aktion erreichte Haina 1940. Die Meldebögen mussten in kürzester Zeit ausgefüllt werden. Die Bögen fragten neben den persönlichen Daten des Patienten auch die „Heilbarkeit“ der Krankheit und die „Arbeitsfähigkeit“ ab. In der Planungszentrale in Berlin werteten sogenannte Gutachter die Bögen aus: Die als unheilbar und wenig arbeitsfähig eingestuften Menschen kamen auf eine Transportliste. Im Frühjahr 1941 wurden 434 Hainaer Patienten in die Zwischenanstalten Idstein und Weilmünster verlegt; kurz darauf 411 Patienten in Bussen in die Tötungsanstalt Hadamar überführt. Ärzte ermordeten die Menschen in der Regel noch am gleichen Tag in einer als Duschraum getarnten Gaskammer. In der Tötungsanstalt Hadamar starben 1941 über 10.000 psychisch Kranke und geistig Behinderte durch Gas. Die Angehörigen erhielten falsche Todesursachen, -zeiten und -orte. Die Leichen verbrannten die Täter sofort in Krematorien. Von 1942 bis 1945 tötete das Personal der Landesheilanstalt Hadamar nochmals fast 5.000 Menschen mit Giftinjektionen. Heute erinnert im psychiatrischen Krankenhaus Hadamar eine Gedenkstätte mit Dokumentation an die Opfer der NS-„Euthanasie“-Verbrechen.

Alle jüdischen Patienten aus Haina – insgesamt 30 – waren schon im September 1940 abgeholt und in eine Sammelanstalt in Gießen gebracht worden. Von dort wurden sie nach Brandenburg weiterverlegt und ermordet. Von den in Haina unter härtesten Bedingungen verbliebenen Patienten waren auch solche, die nach § 42 StGB eingewiesen worden waren. Das hieß, sie hatten Straftaten begangen und waren für unzurechnungsfähig erklärt. Auch sie kamen in ein Konzentrationslager (KZ). Zwei überlebten in Mauthausen, die anderen Männer kamen wahrscheinlich im KZ um. Nur von einigen ist das Todesdatum gewiss.

Mit dem Kriegsende im Mai 1945 endeten in Deutschland die „Euthanasie“-Morde. Fast aus jeder Anstalt waren Patienten umgekommen, viele Psychiatrien hatten als Mordstätten mit Gas oder Giftinjektionen fungiert. Die übrigen Heil- und Pflegeanstalten waren heruntergekommen, die Kranken unterernährt und verwahrlost, das Personal war z.T. verroht oder am Krankenmord beteiligt gewesen. Auch in Haina dauerte es noch bis Anfang der 50er Jahre, bis die hohe Sterblichkeit unter den Patienten nach und nach zurückging.

Ab 1953 – das Psychiatrische Krankenhaus Haina

Im April 1953 wurde der Landeswohlfahrtsverband Hessen als Nachfolgeorganisation der Bezirksverbände Wiesbaden und Kassel und der Gesundheitsverwaltung des Volksstaates Hessen gegründet. Sitz der Hauptverwaltung ist heute Kassel, daneben gibt es Zweigverwaltungen in Wiesbaden und Darmstadt. Der Landeswohlfahrtsverband Hessen erhielt die überörtlichen Aufgaben der Sozialhilfe und der Fürsorge für das Bundesland Hessen. Neben einer Vielzahl sozialer Einrichtungen übernahm er auch die drei ältesten Hospitäler Hessens: Die Landesheilanstalt Haina, Merxhausen und das „Philippshospital“ in Riedstadt/Hofheim.

Die Situation in den psychiatrischen Anstalten war nach dem Krieg katastrophal, es fehlte an allem: Inventar, Personal, Arznei und Verpflegung. Die Gebäude befanden sich in einem schlechten Zustand. Die Psychiatrie war von der NS-„Euthanasie“-Aktion gezeichnet – fast ein Drittel aller Insassen war ermordet. Die überlebenden Menschen befanden sich zum Teil in einem desolaten Zustand, die Sterberate lag bis zum Ende der 40er Jahre noch sehr hoch.

1957 erfolgte die Umbenennung der Landesheil- und Pflegeanstalt Haina in „Psychiatrisches Krankenhaus“. 1954 bis 1957 fanden umfassende Gebäudesanierungen statt, Gitter und Mauern wurden soweit wie möglich entfernt. Die Abteilungen der Häuser trennte man nach Krankengruppen, Alter und Geschlecht, es wurden nun auch Frauen aufgenommen.

Seither wurde das Psychiatrische Krankenhaus Haina baulich weiter modernisiert und Personalausstattung, Arbeitsweise und psychiatrisches Angebot zeitgemäß erweitert.

Seit 1977 ist die forensische Abteilung des Psychiatrischen Krankenhauses eigenständige forensische Klinik.

Im Zuge der Enthospitalisierung wurden geistig und seelisch behinderte Menschen in Wohngruppen und -heime ausgegliedert. So entstanden die Vitos begleitenden psychiatrischen Dienste und die Vitos Behindertenhilfe, die heute die Vitos Teilhabe gGmbH betreibt.

Im Jahr 2007 erfolgte die Rechtsformänderung in gemeinnützige GmbH, 2009 die Umbenennung in Vitos Haina gGmbH. Gesellschafter sind der Landeswohlfahrtsverband Hessen und die Vitos GmbH.

Seit 2009 ist die Vitos forensisch-psychiatrische Ambulanz Hessen eigenständige Betriebsstätte. Bis dahin war sie der Klinik für forensische Psychiatrie Haina zugeordnet.

Informationen zum Download

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Vitos Haina gGmbH
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Vitos Haina - Unsere Geschichte

Erinnern und Gedenken

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Vitos Haina - Historie und Gegenwart

Der Krankenhaus-Standort Haina hat eine lange Geschichte. Heute betreibt Vitos Haina zwei Kliniken und zahlreiche Einrichtungen.

Kontakt

Leiter Unternehmenskommunikation Vitos Haina

Rouven Raatz

Rouven Raatz

Telefon:
0 64 56 ‐ 9 17 71
Fax:
0 64 56 ‐ 9 12 30
E-Mail:
rouven.raatz(at)vitos-haina.de

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