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Coronavirus: Psychisch stark – leichter durch die Corona-Krise?

Datum:
Fachbereich:
Fachbereichsübergreifend
Gesellschaft:
Vitos Haina gGmbH

Die Sonne scheint, der Frühling naht. Eigentlich Zeit für gute Laune. Doch nicht so im Jahr 2020. Obwohl das Wetter in den vergangenen Tagen sonnig war, waren viele Menschen missmutig. Denn Corona schlägt auf das Gemüt. Dies hat etwas mit der psychischen Widerstandskraft zu tun. Was es damit auf sich hat und wie man die Resilienz stärker kann, erklärt PD Dr. Florian Metzger, Ärztlicher Direktor der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina.

© Victoria Heath via Unsplash

Warum empfinden manche Menschen die Corona-Krise als belastend – und andere nicht?

Metzger: Menschen sind nun mal verschieden. Und ebenso groß ist die Bandbreite der Reaktionen: Manche werden durch äußere Einflüsse stark beeinflusst. Anderen können externe Reize gar nichts anhaben können. Im Extremfall spricht man dabei von Menschen mit autistischen Zügen. Die Corona-Krise unterscheidet sich hier nicht von anderen schwerwiegenden Problemen: Wichtig für das Ausmaß von empfundenem Stress ist die Bewertung der Situation: ist sie nur unangenehm oder im Extremfall gar existenzbedrohend?

Tatsächlich wirken sich die realen Einschränkungen durch die Corona-Krise sehr unterschiedlich aus: Menschen, die weiter außerhalb ihrer Wohnung arbeiten und in ihrer Freizeit ohnehin wenig direkte zwischenmenschliche Kontakte außerhalb der Familie haben, spüren die Einschränkungen viel weniger als diejenigen, die nicht oder von zu Hause arbeiten, alleine leben, aber sonst viele außerfamiliäre Kontakte haben.

Es ist häufig von Resilienz, also von der psychischen Widerstandskraft, die Rede. Was bedeutet dies konkret?

Metzger: Resilienz ist die Fähigkeit, von einer Krise möglichst wenig in seiner Funktionsfähigkeit eingeschränkt zu werden bzw. aus einer Krise wieder zum Ausgangspunkt zurückkommen zu können. Resilienz ist zunächst ein allgemeiner Begriff, der in der Medizin für psychische und körperliche Krisen, aber auch in der Wirtschaft, Ökologie und Organisationstheorie benutzt wird. Resilienz ist sehr individuell, viele Faktoren spielen dabei eine Rolle. Bei der psychischen Resilienz sind das Persönlichkeitsfaktoren, der aktuelle gesundheitliche Zustand, die Erfahrung in der Bewältigung von Krisen, um nur einige aufzuzählen.

Gibt es Tipps, um die eigene Resilienz zu stärken?

Metzger: Resilienz beinhaltet unbeeinflussbare Faktoren, aber auch beeinflussbare: Es gibt es viele Möglichkeiten die Resilienz zu stärken. Eine ist sich selbst zu kennen (oder kennen zu lernen) und seine Fähigkeiten realistisch einschätzen zu können. Daraus folgt eine gute Selbstorganisation und zu wissen, was tut mir gut und was nicht. Ob das der Kaffee am Abend ist, der gut schmeckt, aber nicht gut tut, oder die aufgeschobene Joggingrunde – das ist sehr individuell.

Dies gilt auch für die Corona-Krise: Vielen Menschen tut es nicht gut, sich am späten Abend schlechte Corona-Nachrichten anzusehen oder spät aufzustehen, da der geregelte Tagesablauf fehlt. Resilienz bedeutet hier: Wenn ich weiß, dass die Corona-Nachrichten am späten Abend verhindern, dass ich gut einschlafen kann, vermeide ich dieses Verhalten.

Eine weitere Resilienz-Strategie ist die sogenannte Selbstwirksamkeit: Hierunter versteht man das Vertrauen, für schwierige Situationen selbst einen Lösungsansatz finden zu können. Zu einem eigenen Lösungsansatz gehört übrigens auch, sich für eine Hilfe von außen zu entscheiden. Ein wichtiger Resilienz-Msechanismus ist es, positiv zu denken. Das bedeutet, auch aus schwierigen Situationen positive Gedanken herausziehen zu können.

Die Schulen sind zu, die Kindertagesstätten ebenfalls – es fehlt an der Kinderbetreuung. Für viele Familien ist dies belastender als der Gedanke daran, an Corona zu erkranken. Gibt es Wege, mit dieser Ausnahmesituation gut klarzukommen?

Metzger: Zum äußeren Stress kommt dann der Familien-Stress dazu. Neben den allgemeinen Resilienz-Strategien ist in der Familie besonders wichtig, sich Räume zu definieren. Echte Räume. Jedes Familienmitglied sollte entweder ein Zimmer oder zumindest eine Ecke haben, wohin es sich zurückziehen kann. Dies gilt auch für Zeiträume: festgelegte gemeinsame Zeiten, aber auch festgelegte Rückzugszeiten erleichtern das Zusammenleben und beugen Missverständnissen im Familienleben vor. Gerade bei Familien mit kleineren Kindern ist es sinnvoll, sich bei der Betreuung einen Plan zu machen und sich abzuwechseln. So lange es von den Vorgaben machbar ist, ist Bewegung an der frischen Luft sowohl für die Kinder als auch die Eltern sehr empfehlenswert.

Wie kann man sich innerhalb der Familie unterstützen, diese für alle ungewohnte und schwierige Zeit gut zu bestehen?

Metzger: Oftmals entstehen Streit oder falsche Interpretationen aus einem Mangel an Kommunikation. Dabei bietet sich in der Zeit von „social distancing“ die Gelegenheit, in der Familie vermehrt zu kommunizieren. Nicht nur über die Nachrichten, sondern auch über die Emotionen, die dabei entstehen. Das braucht manchmal ein bisschen Zeit, bis offen über Ängste und Befürchtungen gesprochen werden kann. Zeit, die jetzt vielleicht mehr vorhanden ist und deren Einsatz sich sehr lohnt.

Bei manchen Familien wird es aufgrund von schwierigen Verhaltensweisen einzelner Familienmitglieder zu Auseinandersetzungen kommen. Bei allem ist aber besonders wichtig zu berücksichtigen, dass gerade Kinder diese schwierige Situation gerade mitbekommen und oftmals kein Ventil dafür finden. Der Gedanke daran, dass die jüngeren noch kein Repertoire für die Verarbeitung solcher Situationen haben, kann den Eltern den Umgang mit schwierigen Verhaltensweisen der Kinder erleichtern.

Zur Person: PD Dr. Florian Metzger

PD Dr. Florian Metzger (42) ist Ärztlicher Direktor des Vitos Klinikums Haina. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie leitet seit 2019 die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Spezialisiert ist er unter anderem auf die Behandlung von psychischen Erkrankungen in der zweiten Lebenshälfte. Vor seinem Wechsel nach Haina wirkte Dr. Metzger am Universitätsklinikum in Tübingen, wo er weiterhin einen Lehrauftrag hat und wissenschaftlich tätig ist

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