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Vitos Rheingau gedenkt der Opfer des Krankenmordes - Veranstaltung zum Jahrestag des „Euthanasie-Erlasses“

Datum:
Fachbereich:
Fachbereichsübergreifend
Gesellschaft:
Vitos Rheingau gGmbH

Vitos Rheingau nahm das Datum des ersten Septembers zum Anlass, um der unter den Nationalsozialisten auf dem Eichberg ermordeten psychisch kranken Menschen zu gedenken.

Foto: Gedenkstein mit Rosen

Auf den 1. September war der nie veröffentlichte, den beteiligten Ärzten aber bekannte, so genannte Euthanasie-Erlass Adolfs Hitlers datiert. Er legitimierte die 1940 einsetzende Tötung „lebensunwerten Lebens“, die Ermordung von Menschen mit einer geistigen Behinderung, einer psychischen Erkrankung oder oft genug auch nur einem unerwünschten Sozialverhalten.

In seiner Begrüßungsansprache betonte Vitos-Rheingau-Geschäftsführer Stephan Köhler die Wichtigkeit des Gedenkens, die mit dem wachsenden historischen Abstand noch größer werde. Der Wunsch, diesen düsteren Teil der Geschichte zu vergessen, sei verständlich, ihm nachzugeben wäre sträflich, „zumal für ein Unternehmen, dass sich heute auch als Anwalt seiner Patienten und Klienten versteht und für ihre Integration in die Gesellschaft einsetzt“, so Köhler.

In seinem anschließenden Referat skizzierte Dr. Alexander Ullrich, leitender Arzt der Vitos Klinik Eichberg, den Weg vom Gedankengut der Aufklärung, die das Wahnhafte als das Andere der Vernunft definierte und somit im modernen Sinne zur Krankheit erklärte, hin zu jenem Denken, das es Menschen in medizinischen Berufen erlaubte, ohne erkennbare innere Konflikte die Tötung derer zu vollziehen, denen zu helfen sie doch einmal angetreten waren. Denn das Denken, das zu den Morden an rund 200.000 psychisch kranken oder geistig behinderten Männern, Frauen und Kindern führte, entstand nicht 1933 aus dem Nichts, sondern wurde durch viele Faktoren beeinflusst. Dazu gehört nicht nur der Triumph der Vernunft, sondern auch der unglaubliche Aufschwung von Naturwissenschaften und Technik, wozu frappierende medizinische Entdeckungen und Weiterentwicklungen gehörten.

„Kritiklose Selbstsicherheit der Naturwissenschaften und die Tendenz, auch den Menschen zum Gegenstand der Forschung sowie gesellschaftlich und politisch zum Objekt einer zentralen Steuerung zu machen, kennzeichneten den Zeitgeist“, so Dr. Ullrich. Dies alles führte zusammen mit der Erfahrung des ersten Weltkriegs zu einem gesellschaftlichen Klima, das Ullrich so beschreibt: „Die Anfänge des 20. Jahrhunderts waren, und keineswegs nur in Deutschland, eine Brut- und Blütezeit von Programmen der Gesundheitsoptimierung und Leidensausmerzung, einer sozialmedizinischen Projektemacherei, bei der die Erlösung des Kranken und die Erlösung vom Kranken nahe beieinander lagen.“

Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten kam es dann zur Radikalisierung dieses Denkens, das in der letzten Konsequenz die Vernichtung von allem, was nicht den rassehygienischen Idealen entsprach, zu legitimieren behauptete.

Im Anschluss an das Referat waren die Anwesenden eingeladen, am Gedenkstein des Unternehmens eine Rose niederzulegen. Es werde auch in den kommenden Jahren bei Vitos Rheingau eine Gedenkveranstaltung an diesem Datum geben, zu dem Mitarbeiter, Patienten, Klienten und Interessierte herzlich eingeladen seien, betonte Stephan Köhler.

Hintergrund
Zwischen 1939 und 1945 war die Landesheilanstalt Eichberg Teil der Tötungsmaschinerie, mit der psychisch kranke, geistig oder körperlich behinderte oder sozial unangepasste Menschen von den Nationalsozialisten umgebracht wurden. Als Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hadamar, in der 1940 bis 1941 die Gasmorde (analog zur späteren Vernichtung der Juden in den Todeslagern) stattfanden, nahm der Eichberg psychisch kranke oder behinderte Menschen aus dem ganzen damaligen Reichsgebiet vorübergehend auf, die dann nach Hadamar weiter transportiert wurden. Nachdem auf Druck der Öffentlichkeit, speziell der Kirchen, die Gasmorde eingestellt wurden und die Gaskammern in Hadamar und fünf weiteren Anstalten abgebaut worden waren, ging das Töten dennoch weiter. Psychisch kranke und behinderte Menschen wurden durch Giftspritzen, überdosierte Medikamente, Vernachlässigung oder Verhungernlassen bis 1945 systematisch getötet. In der so genannten Kinderfachabteilung des Eichbergs wurden behinderte Neugeborene und ältere Kinder ermordet, ihre Hirne zu Forschungszwecken an die Universitätsklinik Heidelberg verschickt. Erst mit der Kapitulation und dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft endete auch das Töten in den Anstalten, die von ihren Erbauern zur Heilung oder zumindest zur Pflege und Betreuung kranker oder behinderter Menschen bestimmt, im „Dritten Reich“ aber zu Todesanstalten pervertiert worden waren.

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