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„Alle hatten einen Namen“

Datum:
Gesellschaft:
Vitos Riedstadt gGmbH

Vitos Riedstadt gedenkt den Opfern des Krankenmords

3 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Gernsheim musizieren bei der Gedenkfeier von Vitos Riedstadt
Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Gernsheim musizieren bei der Gedenkfeier von Vitos Riedstadt

Unter dem Leitsatz „Alle hatten einen Namen“ gedachte Vitos Riedstadt auch in diesem Jahr am 1. September an die Opfer des Krankenmordes unter der nationalsozialistischen Diktatur. In der Zeit zwischen 1934 und 1945 wurden Menschen aufgrund einer Behinderung oder einer psychischen Erkrankung zwangssterilisiert oder ermordet. Hierunter auch Patientinnen und Patienten von Heil- und Pflegeanstalten.

Mindestens 200.000 psychisch Kranke und behinderte Menschen fielen dem sogenannten Euthanasieprogramm zum Opfer. „Das Schicksal der Opfer der Krankenmorde ist uns Mahnung und Verpflichtung zugleich“, betonte Peter Mann, Regionalleiter Süd der Vitos begleitenden psychiatrischen Dienste, in seiner Ansprache. In diesem Jahr beteiligten sich auch Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Gernsheim wieder an der Gedenkfeier. Auch das ist seit vielen Jahren gelebte Tradition bei Vitos Riedstadt und beiden Seiten außerordentlich wichtig. Gerade für die jüngere Generation ist die Gedenkfeier ein Anlass, sich aktiv mit der Vergangenheit Deutschlands auseinanderzusetzen.

Ohne die Vergegenwärtigung der Opfer bliebe das Gedenken abstrakt. Deshalb erinnerten die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern namentlich an 30 Betroffene. „Die Geringschätzung, die die Gesellschaft psychisch Kranken und geistig behinderten Menschen entgegenbrachte, muss uns eine mahnende Erinnerung bleiben, damit wir den uns anvertrauten Menschen stets wertschätzend gegenübertreten,“ sagt Ralf Schulz, Geschäftsführer von Vitos Riedstadt.

 

Hintergrundinformationen

Warum erster September?

Auf den ersten September 1939 datierte Hitler sein – wohl erst im Oktober des gleichen Jahres verfasstes – Schreiben an seinen Begleitarzt und den Leiter der „Kanzlei des Führers“, in dem er die dazu willigen Ärzte ermächtigte, Menschen zu töten, die nach den Vorstellungen der Nationalsozialisten „Ballastexistenzen“ darstellten. Es handelte sich um Menschen mit einer geistigen oder schwerwiegenden körperlichen Behinderung, um Menschen, die psychisch krank waren, aber auch um Menschen, die nicht in das Bild der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ passten: etwa Obdachlose oder „schwer Erziehbare“.

Durch die Datierung entsteht ein Zusammenhang zwischen dem mit dem Überfall auf Polen begonnenen Krieg nach außen und dem „Krieg nach innen“, gerichtet gegen alle, die dem „gesunden Volkskörper“ nicht entsprachen. Der Brief ist auch unter dem Begriff „Euthanasie-Erlass“ bekannt. Das ist irreführend, denn es gab nie eine offizielle gesetzgeberische Legitimierung des Krankenmordes, wohl aber eine funktionierende Verwaltung, die zunächst die Ermordung von in Heimen oder psychiatrischen Krankenhäusern (Heilanstalten) untergebrachten Menschen zentral von Berlin aus organisierte, unterstützt von Ärzten, Pflegern und den Verwaltungsbeamten der jeweiligen „Anstalten“.

Die historische Forschung nannte diese erste Phase des Krankenmordes nach deren Berliner Adresse in der Tiergartenstraße 4 später „Aktion T-4“. Heute erinnert dort eine Informations- und Gedenkstätte an die rund 600.000 Opfer. Man geht von rund 200.000 ermordeten Menschen aus, etwa 400.000 wurden seit 1934 zwangssterilisiert. (Quelle: statista.com, veröffentlicht am 8.4.2020)

Wortlaut des Schreibens

Berlin, 1. Sept. 1939

Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.

Adolf Hitler

Die Organisation des Mordens

Die erste Mordphase (Januar 1940 bis August 1941) wird auch zentrale Euthanasie genannt, weil die Ermordung der Patienten und Bewohner, die aufgrund von Meldebögen aus den damaligen Heimen und Heilanstalten als nicht lebenswert eingestuft worden waren, in sechs zentralen Gasmordanstalten stattfand. Als eine dieser Gasmordanstalten fungierte die Heilanstalt Hadamar. Dort hat heute die zentrale hessische Gedenkstätte ihren Sitz, die der Landeswohlfahrtsverband Hessen betreibt. Die Mordopfer wurden in den „grauen Bussen“ oft über eine Zwischenstation in eine nahe gelegene Heilanstalt in die Gasmordanstalten gebracht.

Im August 1941 beendeten die Nationalsozialisten auf öffentlichen Druck insbesondere durch Vertreter der katholischen Kirche die zentrale Mordaktion. Doch das Morden ging weiter: es fand jetzt nicht mehr an zentralen Orten statt, sondern vor Ort in den jeweiligen Heimen oder psychiatrischen Heilanstalten. In Hessen waren insbesondere vier der heute zu Vitos gehörenden psychiatrischen Zentren dezentrale Mordorte: die Landesheilanstalten Eichberg bei Eltville (heute Vitos Rheingau), Hadamar und Weilmünster (heute Vitos Weil-Lahn) sowie die Heil- und Erziehungsanstalt Kalmenhof in Idstein (heute Vitos Teilhabe). Auch Kinder und Jugendliche wurden Mordopfer des nationalsozialistischen Regimes: Insgesamt geht man von etwa 25.000 getöteten Minderjährigen aus, rund 5.000 davon wurden in sogenannten Kinderfachabteilungen – speziellen Stationen innerhalb psychiatrischer Heilanstalten – getötet.

 

Hintergrund zur Vitos Riedstadt

Die Vitos Riedstadt gemeinnützige GmbH ist Trägerin des Vitos Klinikums Riedstadt, der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Riedstadt, der Vitos begleitenden psychiatrischen Dienste Riedstadt und der Vitos Schule für Gesundheitsberufe Riedstadt. Vitos Riedstadt beschäftigt etwa 1.070 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Das Vitos Klinikum Riedstadt mit den Fachkliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie für Erwachsenenpsychiatrie verfügt über 274 Betten und 75 tagesklinische Plätze. Die Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Riedstadt verfügt über 120 Plätze für psychisch kranke Rechtsbrecher. Die Begleitenden psychiatrischen Dienste Riedstadt bieten 113 Plätze und versorgen chronisch psychisch kranke Menschen mit Wohn-, Arbeits- und Freizeitangeboten.

 

Foto der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gedenkfeier

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