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„Die Betroffenen haben den allergrößten Respekt verdient“

Datum:
Fachbereich:
Erwachsenenpsychiatrie
Gesellschaft:
Vitos Weil-Lahn gGmbH

Schizophrenie: Fachleute informieren sich bei Vitos über Stand der Forschung

Symposium in Hadamar© vitos Weil-Lahn
Zum Thema Schizophrenie tauschten sich aus (von links): Prof. Dr. Andreas Forstner (Universitätsklinikum Bonn und Forschungszentrum Jülich), Prof. Dr. Alkomiet Hasan (Universität Augsburg), Jens Rossel (Pflegekoordinator, Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Hadamar), Prof. Dr. Christoph Fehr (Klinikdirektor, Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Hadamar), Reinhard Belling (Vorsitzender der Vitos Konzerngeschäftsführung), Kirsten Eckenberg (Leiterin Gesundheitsamt des Kreises Limburg-Weilburg) sowie Vitos-Geschäftsführer Martin Engelhardt.

Hadamar, 10. Mai 2023 / Unter dem Titel „Update Schizophrenie“ hat die Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Hadamar nach drei Jahren Coronapause wieder ein Symposium organisiert. Es war das erste wissenschaftliche Treffen unter der Federführung des Klinikdirektors Prof. Dr. Christoph Fehr, der 2021 auf dem Mönchberg sein Amt angetreten hat.

Schizophrenie, im Volksmund oft auch als „Psychose“ bezeichnet, stellt eines der häufigsten und immer noch herausforderndsten Erkrankungsbilder des Fachgebietes da. In den vergangenen Jahren hat die Forschung zunehmend neue Erkenntnisse gewonnen, wie eine Schizophrenie entsteht und was bei ihrer Behandlung zu beachten ist. 

Den aktuellen Stand der Wissenschaft präsentierten die Referenten Prof. Dr. Andreas Forstner (Universitätsklinikum Bonn und Forschungszentrum Jülich), Prof. Dr. Alkomiet Hasan (Universität Augsburg), Jens Rossel (Pflegekoordinator bei Vitos Weil-Lahn) sowie Hausherr Prof. Dr. Christoph Fehr den gut 150 Gästen im Festsaal in Hadamar. Fehr, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, erklärt im Interview, was Schizophrenie ist und wie man sie behandelt.

Wie äußert sich eine Schizophrenie?

Prof. Dr. Christoph Fehr: Eine Schizophrenie ist eine Störung der Wahrnehmung, des Denkens, teilweise auch des Fühlens und der Handlungsplanung der Betroffenen. Es handelt sich um Beschwerden, die umfassend in die Lebensqualität des Betroffenen eingreifen. Typischerweise wird die Erkrankung an einer sogenannten psychotischen Phase erkannt, das heißt einer Phase, in der die Betroffenen teilweise unter Sinnestäuschungen wie zum Beispiel akustischen Halluzinationen oder auch unrealistischen irrealen Gedanken von Beeinträchtigung oder Bedrohung leiden.

Wann beginnt eine Schizophrenie?

Eine Schizophrenie beginnt typischerweise in der Jugend oder dem jungen Erwachsenenalter, das heißt in einem Alterskorridor von etwa 16 bis 30 Jahren.

Wie behandelt man eine Schizophrenie?

In der akuten Phase einer Schizophrenie, der sogenannten psychotischen Phase, muss zunächst einmal das Vertrauen der Betroffenen in die Notwendigkeit einer Behandlung hergestellt werden. Typischerweise kann es während der Erkrankungsphase zu Schwierigkeiten kommen, sich selbst als erkrankt wahrzunehmen. In der akuten Phase ist oft auch die Gabe eines Medikaments, eines sogenannten Antipsychotikums zur Linderung der Ängste und Fehlwahrnehmungen der Betroffenen notwendig. Daneben stehen auch psychotherapeutische Verfahren zum Umgang mit Wahrnehmungsstörungen, sozialen Schwierigkeiten und unter anderem dem Aufbau einer weiteren therapeutischen Arbeitsbeziehung zur Verfügung. Längerfristig muss die Behandlung von Patientinnen, die an einer Schizophrenie leiden, im Team erfolgen. Dieses Team besteht dann aus Ärzt/-innen, Psycholog/-innen, Pflegekräften, Sozialarbeiter/-innen, aber auch vielen Mitarbeiter/-innen, die im ambulanten gemeindepsychiatrischen Kontext tätig sind.

Was weiß man heute über die Ursachen, ob jemand im Laufe seines Lebens an einer Schizophrenie erkrankt?

Schon lange ist bekannt, dass die Vererbung einen wesentlichen Einfluss darauf hat. Bisher war jedoch vollkommen unklar, wie die Risiken in diesen anlagebedingten Varianten, also den Genen verteilt sind. Dazu hat Prof. Dr. Andreas Forstner uns spannende neue Erkenntnisse präsentieren können.

Schizophrenie liegt also allein in den Genen begründet?

Auch verschiedene Umweltfaktoren können das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, beeinflussen. Bereits vor der Geburt können Schwangerschaftsinfektionen, aber auch Geburtskomplikationen zu einem erhöhten Schizophrenie-Risiko beitragen. Dann sind auch Gewalterfahrungen in der Kindheit, Infektionen, Mangelernährung, und andere Traumata ein wesentlicher Auslöser einer Schizophrenie. Nichts zu vergessen ist auch, dass ein häufiger, intensiver Cannabiskonsum das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, um das Zwei- bis Dreifache steigern kann.

Was bedeutet das für eine mögliche Präventionsarbeit?

Ich denke, dass das ein wichtiges Thema für Kinder- und Jugendgesundheit ist. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass unsere Kinder in einem geschützten Rahmen aufwachsen. Wir müssen auch, und das sage ich gerade vor dem Hintergrund der aktuell laufenden Diskussion um die Cannabis-Legalisierung, dafür Sorge tragen, dass Jugendliche, aber auch junge Erwachsene, die empfindlich sind, vor den Folgen von Cannabis geschützt werden.

Ist für Menschen mit Schizophrenie so etwas wie gesellschaftliche Teilhabe überhaupt möglich?

Wir haben hier deutliche Fortschritte im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten erlebt. Früher haben Patient/-innen teilweise Jahre oder Jahrzehnte in einem psychiatrischen Krankenhaus verbracht. Heute können die Allermeisten mit der Erkrankung ein selbstbestimmtes Leben führen. Für stärker beeinträchtigte Betroffene haben wir heute außerdem umfangreiche Teilhabe-Möglichkeiten zur Verfügung, unter anderem ein betreutes Wohnen, das Leben in einer betreuten Wohngruppe oder in einem Wohnheim. Ich möchte auch betonen, dass viele Betroffene selbstständig einer Tätigkeit nachgehen können.

Stichwort „Stigmatisierung“: Inwieweit ist Schizophrenie heute eine Krankheit unter vielen?

Das ist noch immer ein großes Tabuthema in unserer Gesellschaft. Kaum ein Betroffener und schon gar nicht die Familien trauen sich mit der Erkrankung an die Öffentlichkeit zu gehen. Viel zu oft suchen die Betroffenen und auch die Familien den Grund in sich selbst. Dabei kann man sagen, dass es sich bei der Schizophrenie um eine komplexe Erkrankung handelt, die im Kontext zwischen genetischen Faktoren und individuellen Umwelteinflüssen entsteht. Die Betroffenen haben den allergrößten Respekt verdient – und auch die Unterstützung unserer Gesellschaft.

Welche innovativen Angebote gibt es bei Vitos Weil-Lahn für Patient/-innen mit Schizophrenie?

Wir haben bei der Vitos Weil-Lahn seit 2021 unsere stationsäquivalente Behandlung „Vitos Behandlung zu Hause“ eingeführt. Das heißt, auch akut erkrankte Patient/-innen können in ihrem gewohnten Lebensumfeld aufgesucht und dort behandelt werden. Daneben haben wir bei Vitos umfangreiche Anstrengungen unternommen, eine rationale Pharmakotherapie zu betreiben und unnötige, nicht verträgliche Arzneimittelmedikation zu vermeiden. Wir haben sowohl ein Online-Tool zu Bewertung der Arzneimittel-Wechselwirkungen als auch die Möglichkeit, durch eine Klinik-Apothekerin gezielt Unterstützung bei der Auswahl der Medikamente zu erhalten. Daneben haben wir uns auch sehr bemüht, unseren Patient/innen mit Schizophrenie psychotherapeutische Angebote anzubieten. Ich selber habe zusammen mit einem Doktoranden Zusammenhänge zwischen motivierender Gesprächsführung und der Schizophrenie-Behandlung erforscht.

Was wünschen Sie sich für Ihre Patient/-innen, die an einer Schizophrenie erkrankt sind?

Ich würde mir wünschen, dass sie als eine Gruppe von Patienten wahrgenommen werden, die die gleichen Rechte wie alle anderen erkrankten Menschen in Deutschland hat. Ich würde mir auch wünschen, dass wir Fortschritte bei den Behandlungsmethoden erzielen. Ich glaube dabei weniger, dass es eine einzelne neue Wirkstoffklasse von Arzneimittel geben wird, sondern dass es sehr viele verschiedene individuelle Handlungsoptionen geben muss. Abschließend wäre mein wirklich wichtigster Wunsch, dass alle unsere Intervention es erreichen, die Lebenserwartung von Patient/-innen mit einer Schizophrenie doch etwas zu steigern. Hier liegt die größte Herausforderung vor uns.

 

Hintergrund

Menschen mit allen Formen seelischer Erkrankungen finden Hilfe in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Hadamar. Depressionen, Suchterkrankungen und Psychosen gehören zu den typischen Krankheitsbildern. Aber auch psychische Störungen im Alter, akute Belastungskrisen und neurotische Fehlentwicklungen sind häufige Gründe, warum Patienten dort  behandelt werden. Das Therapieangebot umfasst psychiatrische und psychologische Diagnostik und Therapie, Hausbesuche durch ärztliche und nicht-ärztliche Fachkräfte. Für Betroffene gibt es in Hadamar ambulante, teilstationäre und stationäre Angebote. Tageskliniken und Ambulanzen sind zudem auch in Limburg und in Weilburg zu finden.

 

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