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Gegen die Stigmatisierung psychisch Kranker: „Laienhilfe Miteinander“ wird 40

Datum:
Fachbereich:
Fachbereichsübergreifend
Gesellschaft:
Vitos gGmbH

Die Achtundsechziger-Bewegung lebt weiter und ist heute aktiver als jemals zuvor. Gemeint sind allerdings nicht etwa die Studentenunruhen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern die Mitglieder der „Laienhilfe Miteinander“ im Waldkrankenhaus Köppern. An die Gründung des Betreuerkreises vor genau 40 Jahren erinnerte die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Dezember bei einer Feierstunde im Krankenhausfestsaal. An der Feier nahmen als Ehrengäste unter anderem der Friedrichsdorfer Bürgermeister Horst Burghardt (Grüne), Reinhard Belling vom Gesellschafter LWV-Gesundheitsmanagement GmbH (LGM) sowie Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft teil.

Die Damen und Herren der Laienhilfe Miteinander im Waldkrankenhaus Köppern (Foto: Dieter Becker)

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, mochte sich Gertrud Vey gedacht haben, als sie 1968 eine Reihe von Mitstreitern für die „Laienhilfe“ im Waldkrankenhaus Köppern begeistern konnte. Nur ein Jahr zuvor war das Allgemeinkrankenhaus des „Hospitals zum Heiligen Geist“ in die Trägerschaft des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen übernommen worden, der die Klinik in ein Psychiatrisches Krankenhaus umwandelte. Allerdings gab es in Deutschland seinerzeit kaum spezifische Therapiemöglichkeiten oder professionelle Hilfen. Psychisch kranke Menschen wurden oft als gefährliche, unberechenbare „Verrückte“ betrachtet, die nach erfolgter Heilung in Lebensverhältnisse ohne weitere spezifische Hilfsmöglichkeiten entlassen wurden. Galt ein Patient als „nicht geheilt“, blieb er oft monate-, mitunter sogar jahrelang in der Anstalt. All dies macht deutlich, weshalb im Waldkrankenhaus Köppern damals bis zu 500 psychisch kranke Menschen untergebracht waren. Gertrud Vey kannte die schwierige Situation der Patienten und entschloss sich zur Gründung des Helferkreises. Zunächst sorgten die ehrenamtlichen Frauen und Männer dafür, dass gehbehinderte, verwirrte oder unruhige Patienten zu den Gottesdiensten begleitet wurden und aktiv ihrem Glauben nachgehen konnten. Wenig später begannen die Laienhelfer damit, Kaffeenachmittage zu organisieren, die vom Stationsalltag ablenken sollten. Weil das freiwillige Engagement der Helfer von den Patienten dankbar aufgenommen wurde, kamen später eine Leihbücherei und ein Second-Hand-Shop hinzu. In dem „Lädchen“ können psychisch Kranke mit geringem Einkommen kostengünstig gespendete Kleidung erwerben.

Sämtliche Projekte existieren bis heute, auch wenn sich die Verhältnisse in den psychiatrischen Einrichtungen nach den Reformanstrengungen der Psychiatrie-Enquetekommission des Deutschen Bundestages seit den 1970-er Jahren drastisch verbessert haben. Im Waldkrankenhaus Köppern drückt sich das beispielsweise in den Unterbringungsstandards aus. So teilen sich inzwischen nur noch knapp 10 Prozent der 107 Patienten ein 3-Bett-Zimmer, während die Klinik ansonsten ausschließlich über Einzel- und Zweibettzimmer verfügt. Auch die Verweildauer ist rapide zurückgegangen, und zwar auf durchschnittlich 23 Behandlungstage. Möglich wurde das unter anderem durch den Einsatz einer Vielzahl von klinischen Therapieangeboten, eine Verbesserung der personellen Ausstattung und ständige Weiterqualifizierungsmaßnahmen, die Erhöhung der tagesklinischen Behandlungsplätze sowie die stärkere Gewichtung der ambulanten Versorgung. Darüber hinaus sorgt ein tragfähiges psychosoziales Netzwerk dafür, dass eine intensive und kompetente Betreuung psychisch Kranker auch nach einem notwendig gewordenen Krankenhausaufenthalt gewährleistet ist. Trotzdem ist die „Laienhilfe Miteinander“ nach wie vor ein unverzichtbares Element wenn es darum geht, den Patienten ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln und in der Gesellschaft für mehr Toleranz gegenüber psychisch Kranken zu werben. Gegenwärtig sind in dem Helferkreis rund 30 Frauen und Männer aus Friedrichsdorf und Umgebung aktiv, die von den Kirchengemeinden der beiden christlichen Konfessionen unterstützt werden. Sprecherin ist Eva Bablick-Hoffmann.

Auf das integrative Engagement der Laienhilfe wies in seiner Laudatio der ärztliche Direktor des Waldkrankenhauses Köppern, Professor Dr. Gerald Schiller hin. „Hauptziel der Laienhelfer ist nach wie vor, ein Stück Normalität in den Klinikalltag zu bringen, aber auch außerhalb der Klinik von ihren Erfahrungen mit den Kranken zu berichten und damit Berührungsängste und Vorurteile in der so genannten ´Normalbevölkerung` abzubauen“, sagte der Facharzt und nannte das Wirken „einen entscheidenden Beitrag gegen die Stigmatisierung psychisch Kranker“. In Zeiten materiell und personell immer knapper werdender Ressourcen sei so manche Aktivität für die Patienten ohne ehrenamtliche Mithilfe nicht möglich, betonte Schiller. Zum Dank für das über Jahrzehnte hinweg geleistete Engagement übergab Schiller einen Spendenscheck in Höhe von 1.000 Euro.

„Eine Gesellschaft kann nur dann existieren, wenn es Menschen gibt wie die Laienhelfer, die sich um die Schwächeren kümmern“, betonte der Friedrichsdorfer Bürgermeister Horst Burghardt (Grüne). Die Laienhilfe habe sich 1968 gegen den damaligen Mainstream des „Wegsperrens“ gewandt und sich der psychisch Kranken angenommen. Bis heute erweise sich der ehrenamtliche Kreis als Bindeglied zwischen den Gemeinden und dem Waldkrankenhaus Köppern, das in Friedrichsdorf über eine breite Akzeptanz verfüge. Der LGM-Geschäftsführer Reinhard Belling machte auf die zunehmende Arbeitsverdichtung im Gesundheitswesen aufmerksam und wies darauf hin, wie wichtig es gerade in der Psychiatrie sei, Zeit für die Menschen zu haben. „Darum ist ´Zeit` fast das kostbarste Gut, das Sie den Patienten schenken können“, lobte er das Engagement der Laienhilfe.

Stephan Köhler, der Geschäftsführer der Trägergesellschaft Zentrum für Soziale Psychiatrie (ZSP) Hochtaunus gGmbH, nannte die Laienhilfe Miteinander einen „tüchtigen Aktivposten im sozialpsychiatrischen Hilfesystem, der bis heute eine bedeutende Brückenfunktion hinaus in die Gesellschaft übernimmt.“ Die musikalische Umrahmung der Feier gestalteten Christa Stenzel (Piano) und Bernhard Schappert (Violine), den von der Seelsorgerin Sabine Bruder und den Pfarrern Klaus Klepper sowie Sven-Joachim Haack gestalteten ökumenischen Gottesdienst umrahmten der Organist Dieter Gebhard sowie das Flötenensemble der evangelischen Kirche Seulberg.

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