Suche

Mehr Selbstbestimmung und bedarfsgerechte Behandlungsangebote für psychisch Kranke

Datum:
Fachbereich:
Erwachsenenpsychiatrie
Gesellschaft:
Vitos gGmbH

Außerstationäre Behandlungsangebote und mehr Eigenverantwortung für psychisch kranke Menschen standen im Mittelpunkt der Frühjahrstagung des „Arbeitskreises zur Prävention von Gewalt und Zwang in der Psychiatrie“ (AK), die im Waldkrankenhaus Köppern stattfand. In dem Gremium arbeiten 22 Krankenhäuser aus Süddeutschland und der Schweiz systematisch daran, Zwänge in psychiatrischen Einrichtungen zu reduzieren. Seit dem Jahr 2006 ist das Waldkrankenhaus Köppern als einzige hessische Klinik in dem AK vertreten, nachdem der Themenkomplex zuvor bereits mehrfach in einem krankenhausinternen Ethik-Forum erörtert wurde.

Foto mit Prof. Dr. Tilmann Steinert (Mitte), Gründer und Sprecher des Arbeitskreises, sowie Dr. Wolfgang Gantert, stellvertretender Arztlicher Direktor des Waldkrankenhauses (links) und Alfons Berger, stellvertretender Krankenpflegedirektor der Klinik. (

Der AK war vor elf Jahren auf Initiative von Prof. Dr. Tilman Steinert von den Zentren für Psychiatrie Südwürttemberg gegründet worden, weil Patienten in der Psychiatrie häufig über Ängste vor Zwangsjacken und Gummizellen berichteten. Obwohl diese Zwangsmaßnahmen längst Geschichte sind, kommen auch in der Gegenwart selbst modernste psychiatrische Krankenhäuser nicht völlig ohne Zwang aus. In Hessen beispielsweise können nach dem Freiheitsentziehungsgesetz (HFEG) psychisch kranke Menschen zeitlich befristet in eine Klinik eingewiesen werden, sobald eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt. In Einzelfällen kann sogar eine zeitweilige Fixierung der betroffenen Patienten notwendig werden – etwa bei fremdaggressivem Verhalten, das mit einer Bedrohung von Mitpatienten oder Klinikbeschäftigten einhergeht. Allerdings verlangt das Gesetz zwingend eine richterliche Überprüfung des Gesamtvorgangs, damit die verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechte gewahrt bleiben.

Möglichkeiten zur Begrenzung von Zwangsmaßnahmen hat der AK in einem Thesenpapier zum Thema gemacht. Das Dokument benennt aktuelle Entwicklungen in den psychiatrischen Kliniken und zeigt insbesondere Faktoren auf, mit deren Hilfe das Entstehen von Zwang reduziert werden kann. An erster Stelle sieht der AK die Normalisierung des Alltags in den Krankenstationen, deren Aufgabe es sei, ihren Patienten soviel Selbstständigkeit wie irgend möglich einzuräumen. Als nicht minder bedeutend bezeichnet das Papier die vertrauensvolle Beziehung zwischen Patienten und therapeutischem Team, die sich „auf einer Augenhöhe“ begegnen sollten. Die positive Milieugestaltung führe als „Schlüsselstrategie“ gegen Gewalt und Zwang in der Konsequenz zu einem „mündigen Patienten“. Allerdings stellt der AK in seinem Thesenpapier auch Potenziale fest, die dieser Zielsetzung zuwiderliefen. Dazu zählten unter anderem die Verkürzung der Behandlungsdauer in vielen Kliniken und der damit verbundene Anstieg von Neuaufnahmen schwer kranker Patienten. Hinzu kämen oftmals die budgetbedingte Ausdünnung der Personaldecke und eine „Durchregulierung“ des Stationsalltages durch zunehmende Anforderungen des Qualitätsmanagement. Beides könne den Mut zu unbürokratischen oder unkonventionellen Konfliktlösungen einschränken.

Die Krankenstationen des Waldkrankenhauses Köppern lassen dagegen nichts unversucht, den vom AK angestrebten Idealzustand zu erreichen, stellten bei einem Rundgang durch die akutpsychiatrischen Behandlungseinheiten 3 und 4 die Stationsleiter Dörthe Jakobi und Mathias Schroeter klar. Die beiden Krankenpflegekräfte machten ihre Aussagen an wenigen Beispielen deutlich. So würden die Stationen in aller Regel offen geführt, damit Patienten und Angehörige ungehindert ein- und ausgehen können. Dieses Prinzip habe sich auch in der Architektur niedergeschlagen. Demnach seien nicht nur die Eingangsbereiche mit Glastüren und –wänden versehen, sondern auch die Arbeitsräume des Stationsteams. Dies trage zu einer größtmöglichen Transparenz bei. Das selbe Prinzip gelte für die Speiseräume, die jeweils über eine offene und jederzeit zugängliche Kücheneinrichtung verfügten. Diese „Selbstverwaltung“ gebe den Patienten ein großes Stück Eigenverantwortung zurück.

Dass auch das so genannte „Medikamententraining“ - also das gemeinsame Richten der Medizin durch Patienten und Pflegekräfte - zur Anti-Zwang-Strategie gehört, betonte der langjährige Krankenpfleger Werner Mayr vom Klinikum Heidenheim. Die pflegerisch-psychiatrische Maßnahme, die im Waldkrankenhaus Köppern seit Jahren ebenfalls zu den Standards zählt, stärke die Selbstverantwortung und die sozialkommunikativen Fähigkeiten der Patienten, erhöhe die Akzeptanz gegenüber Psychopharmaka und vertiefe das Vertrauen zu den Therapeuten. Unter anderem komme es dadurch zu einer verbesserten Einschätzung von Symptomen, die sich infolge der Arzneimittelgabe veränderten. „Außerdem werden die gesunden Anteile der Patienten und ihr Selbstwertgefühl gestärkt. Die Sicherheit im Umgang mit Medikamenten ist darüber hinaus wichtig für die Zeit nach der Entlassung“, sagte Mayr.

Eine Alternative zur stationären Behandlung psychiatrischer Erkrankungen kann die „Ambulante Psychiatrische Akutbehandlung zu Hause“ (APAH) der Frankfurter Klinik Bamberger Hof darstellen. Darauf machte deren Leitender Arzt Artur Diethelm aufmerksam. Die Therapieform APAH wurde von der Abteilung des Waldkrankenhauses Köppern im März 2000 in der Mainmetropole etabliert und bietet psychisch kranken Menschen die Behandlung in ihrer vertrauten Umgebung anstelle von vollstationären Krankenhausaufenthalten. Zu diesem Zweck suchen Teams aus Fachärzten, Fachkrankenpflegepersonal und Mitarbeiter des Sozialdienstes die Patienten regelmäßig und engmaschig in ihrem gewohnten Umfeld zu Hause auf. „Die Behandlung dauert so lange, bis die Akuterkrankung überwunden ist“, ergänzte Diethelm. Seine Bilanz fiel entsprechend positiv aus: „Es hat sich gezeigt, dass APAH vor allem für Menschen geeignet ist, die Schwellenängste vor klinischen Institutionen haben oder sich auf einen stationären Rahmen nicht einlassen wollen. Unser Erfolgsrezept: Wir bauen im Lebensalltag Vertrauen zu unseren Patienten auf – und setzen die Schlüsselstrategie des Arbeitskreises zur Vermeidung von Zwängen damit konsequent um.“

Einrichtungssuche

Auswahl filtern:
Angebotsart:

Es gibt insgesamt 276 Einrichtungen