Gießen, 15. Mai 2023. Die Behandlung Zuhause ist ein noch junges Angebot am Vitos Klinikum Gießen-Marburg. Ende 2021 wurde ein multiprofessionelles Team am Standort Gießen aufgebaut, das Konzept erstellt und seitdem stetig weiter an die Bedürfnisse der Patient/-innen angepasst. Jetzt ziehen die Beteiligten eine Zwischenbilanz: Mit der Stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung (kurz: StäB) werden Patientengruppen erreicht, die sonst nur schwer erreicht werden können. Und: Das Feedback der Betroffenen ist durchweg positiv.
Die Behandlung Zuhause ist bei Vitos eine weitere große Säule neben der stationären, teilstationären und ambulanten Therapie. Zwölf Behandlungsplätze bietet das StäB-Team in Gießen an. Das Konzept: Patient/-innen, die aufgrund ihrer Diagnose eigentlich stationär behandelt werden müssten, werden stattdessen täglich in den eigenen vier Wänden aufgesucht. Hier erhalten sie im Wechsel therapeutische Angebote von Ärzt/-innen, Psychotherapeut/-innen sowie Mitarbeiter/-innen aus der Pflege, der Bewegungstherapie und dem Sozialdienst.
Viele Patient/-innen mit jüngeren Kindern
Der zuständige Oberarzt Dr. Johannes Krautheim ist hoch zufrieden mit der Arbeit des Teams: „Wir erreichen damit diejenigen, für die es aufgrund ihrer familiären Situation schwierig ist, mehrere Wochen in eine Klinik zu gehen – zum Beispiel Menschen mit jüngeren Kindern. Das ist eine große Patientengruppe, die für uns bisher nur schwer zu erreichen war.“
Behandelt wurden im vergangenen Jahr überwiegend Menschen mit Depressionen, Angst- und Persönlichkeitsstörungen. Manche alltäglichen Probleme, die diese Erkrankungen mit sich bringen, lassen sich bei der Behandlung Zuhause individueller lösen als in der Klinik. Ein Beispiel: Die meisten depressiven Menschen leiden unter einem ungesunden Schlafrhythmus und Tagesmüdigkeit. „Zuhause bemerken wir manchmal, dass die räumliche Situation es gar nicht zulässt, entspannt zu schlafen. Zum Beispiel, weil alle Kinder mit im Bett liegen oder es gar kein richtiges Bett gibt“, sagt Psychotherapeutin Ginea Hay. „Hier versuchen wir dann, individuelle Lösungen zu finden.“
Angstpatient/-innen wiederum ziehen sich oft sozial zurück. Alltägliche Dinge wie das Einkaufen im Supermarkt oder der Besuch eines Cafés erscheinen manchen schier unmöglich. Das StäB-Team hilft vor Ort dabei, sich solchen Ängsten im Rahmen einer standardisierten therapeutischen Intervention (Exposition) zu stellen. „Die therapeutisch begleitete Exposition von Angst in wissenschaftlich erwiesener Vorgehensweise bietet gerade zuhause im realen Lebenskontext der Betroffenen besondere Chancen hinsichtlich der nachhaltigen Wirksamkeit“, so Prof. Dr. Franz, Ärztlicher Direktor der Vitos Klinik.
Aufklärung über die Erkrankung – auch für die Angehörigen
Ein weiterer Vorteil: In die immens wichtige Psychoedukation, also die Aufklärung über die Erkrankung und ihre Auswirkungen, werden auch die Familienmitglieder einbezogen. Das passiert zwar in der Klinik ebenfalls, jedoch sind Lebenspartner oder andere Angehörige zuhause leichter zu erreichen.
Für den Austausch der Patient/-innen untereinander gibt es zudem Präsenzgruppen auf dem Vitos Gelände in Gießen. So etwa die Gartengruppe, in der die Teilnehmenden gemeinsam Gemüse und Blumen anpflanzen.
Für die Ausgestaltung des Behandlungsangebots profitieren die Patient/-innen vom Ansatz der modular aufgebauten Psychotherapie, die am gesamten Vitos Klinikum Gießen-Marburg vorangetrieben wird. Das bedeutet: Wirksame Therapiebausteine werden so miteinander kombiniert, dass die Behandlung im Ganzen gezielt auf die Bedürfnisse der Patienten/-innen zugeschnitten ist.
Positive Rückmeldungen
Das Feedback der bisherigen Patient/-innen zur Behandlung Zuhause (StäB) in Gießen fiel durchweg positiv aus. Die Warteliste für einen Therapieplatz wächst stetig.
Insgesamt bietet das StäB-Konzept viele Vorteile, jedoch auch organisatorische Herausforderungen für das Team. „Der geltende Grundsatz der Vitos Klinik – multiprofessionelle Zusammenarbeit aller Berufsgruppen auf Augenhöhe – kommt der Alltagsorganisation sowie der Konzeptentwicklung des StäB-Programms hier aber zugute“, fügt Pflegedirektorin Frau Oestreich hinzu.
Die Organisationsarbeit lohnt sich: „Wir können mit dem Konzept eine Lücke im Behandlungsangebot schließen“, sagt der Ärztliche Direktor Prof. Dr. Michael Franz. „So, wie sie hier an unserer Klinik in Gießen umgesetzt wird, ist die Behandlung Zuhause zukunftsweisend und bietet viele Entwicklungsmöglichkeiten.“
Hintergrund: Behandlung Zuhause (StäB)
Die Möglichkeit, Stationsäquivalente psychiatrische Behandlungen (StäB) zu Hause anzubieten, gibt es für psychiatrische Kliniken seit 2018. Gesetzliche Grundlage dafür ist § 115d SGB V. Bei Vitos firmiert das Angebot unter dem Namen Behandlung Zuhause. Ein erstes Pilotprojekt am Vitos Klinikum Gießen-Marburg ist mit vereinzelten Patient/-innen bereits 2019 am Standort Marburg gestartet. In Gießen wurde ab Ende 2021 sukzessive ein eigenes Team aufgebaut, das nur für diese Behandlungsform zuständig ist. Das Gießener StäB-Team hat viel von den ersten Erfahrungen aus Marburg profitiert und diese in das inzwischen sehr umfangreich aufgestellte Behandlungskonzept einfließen lassen.