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„Psychische Probleme können Menschen jeden Alters betreffen“

Datum:
Fachbereich:
Kinder- und Jugendpsychiatrie
Gesellschaft:
Vitos Herborn gGmbH

Die Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Hanau hat in Kooperation mit der DEXT-Fachstelle der Stadt Hanau ihr erstes Symposium veranstaltet. Im Interview erklärt Dr. Eftichia Duketis, dass auch Kinder und Jugendliche psychische Probleme haben können und dass Stress und Traurigkeit nicht gleich eine Behandlung notwendig machen. Außerdem zeigt die Klinikdirektorin auf, welche Bedeutung Ausgrenzung und Diskriminierung, aber auch Kultur und Herkunft für ihre Arbeit haben.

Ajoki Kinderpsychiatrie Jugendpsychiatrie© Moritz Göbel
Das Thema „Ausgrenzung und Diskriminierung“ stand im Mittelpunkt des ersten Symposiums der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Hanau. Die zahlreichen Referenten zeigten in ihren Fachvorträgen die Bedeutung für die Versorgung und Prävention auf.

„Psychische Probleme können Menschen jeden Alters betreffen“

 

Die Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Hanau hat in Kooperation mit der DEXT-Fachstelle der Stadt Hanau ihr erstes Symposium veranstaltet. Im AJOKI, der Alten Johanneskirche in Hanau, widmete sich die kinder- und jugendpsychiatrische Fachtagung vor gut 100 Gästen einen Nachmittag lang dem Thema „Ausgrenzung und Diskriminierung – Bedeutung für die Versorgung und Prävention“.

Eröffnet wurde das Symposium mit Grußworten des Vitos Konzerngeschäftsführers Reinhard Belling, des Geschäftsführers Benjamin Richter und der Stadtverordnetenvorsteherin der Stadt Hanau, Beate Funck. Die Klinikdirektorin Dr. Eftichia Duketis führte durch das Programm mit Fachvorträgen von Prof. Schepker (ZfP Südwürttemberg), Prof. Eva Möhler (Universitätsklinik des Saarlandes), Petra Lindemann aus der Jugendhilfeplanung Hanau. Aus der Vitos Klinik in Hanau und der Vitos Ambulanz in Dietzenbach stellten Julia Feifel und Teresa Budzick ihre Expertise vor.

Im Interview erklärt Dr. Eftichia Duketis, dass auch Kinder und Jugendliche psychische Probleme haben können und dass Stress und Traurigkeit nicht gleich eine Behandlung notwendig machen. Außerdem zeigt die Klinikdirektorin auf, welche Bedeutung Ausgrenzung und Diskriminierung, aber auch Kultur und Herkunft für ihre Arbeit haben.

 

Welches medizinische Angebot macht Ihre Klinik?

Dr. Eftichia Duketis: Die Vitos Hanau ist eine Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Dank unserer Ambulanzen und Tageskliniken in Hanau und Dietzenbach können wir innerhalb unserer Versorgungsregion wohnortnahe Behandlungsangebote mit im multiprofessionellen Teams machen. Wir bieten als Fachklinik eine breite Palette von Diagnostik und Behandlung von psychischen Auffälligkeiten und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen.

 

Besteht bei Kindern und Jugendlichen ein großer Bedarf an psychiatrischer Behandlung? 

Duketis: Ja, der Bedarf ist groß. Psychische Probleme sind nicht nur auf Erwachsene beschränkt, sondern sie können letztlich Menschen jeden Alters betreffen. Tatsächlich sind psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen weit verbreitet. Und Fachleute können helfen. Wichtig zu wissen ist, dass die Art und Intensität der Behandlung von Fall zu Fall variiert. Das reicht von ambulanter Diagnostik und Beratung in der Klinik hin zu teil- und vollstationäre (Psycho-)therapie. Einige Kinder benötigen nur ein kurzes Unterstützungsangebot, andere längere und regelmäßige Therapie.

 

Das Kind ist traurig, kann abends nicht einschlafen – braucht es dann gleich eine Therapie? 

Duketis: Nein, nicht jedes Kind mit psychischen Problemen und „Stress“ muss in psychiatrische Behandlung. Bei Konflikten mit Gleichaltrigen oder wenn das eigene Kind ausgegrenzt wird, ist ein Gespräch mit der Schulsozialarbeit oft hilfreich. Manchmal helfen auch andere Unterstützungsangebote im Freizeitbereich. Wenn sich Eltern Sorgen um ihr Kind machen, ist es hilfreich, mit dem Kinderarzt zu sprechen.

 

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die seelische Gesundheit von Kindern ausgewirkt?

Duketis: Die Auswirkungen der Pandemie sind vielfältig und komplex. Bei Kindern und Jugendlichen kann daraus eine Zunahme des Stress-Erlebens resultieren. Das wiederum kann Angst, Unsicherheit aber auch körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen und Schlafstörungen mit sich bringen. Das sind nicht immer gleich psychiatrische Erkrankungen - denn Kinder sind per se anpassungsfähig.

In den letzten drei Jahren einzigartig war – und ist – allerdings die Dauer und die Überlagerung der Krisen. Wir stellten im Verlauf dieser Zeit eine sehr deutliche Zunahme von Krisen, also Notfallvorstellungen, fest. Und im stationären Bereich gibt es eine überdurchschnittliche Zunahme von Betroffenen mit Essstörungen sowie von Kindern mit Angst- und depressiven Störungen.

 

Bei der Fachtagung standen „Ausgrenzung und Diskriminierung“ im Mittelpunkt. Meinen Sie damit, dass sich die Kinder untereinander aufgrund von Herkunft, sozialem Hintergrund, sexueller Identität und Orientierung oder ähnlichem ausgrenzen –  „dissen“, wie es jugendsprachlich heißt?

Duketis: Diskriminierung unter Kindern und Jugendlichen kann sich auf verschiedene Weise zeigen: durch Ausgrenzen im Sinne von Ignorieren und Meiden durch Altersgenossen; durch verbale Angriffe, Mobbing/ Cybermobbing und Spott bis hin zu körperlichen Angriffen. Die können sich auf verschiedene Arten von Unterschieden beziehen, wie eben von Ihnen genannt.

Niemand von uns ist letztlich ganz vorurteilsfrei. Vorurteile entwickeln sich unbewusst in den Köpfen, unter anderem durch die eigene Erziehung, durch die Umgebung und durch Medien…. Und auch wir Fachleute sind natürlich nicht davor gefeit.

 

Erleben Kinder aufgrund ihrer psychischen Erkrankung oft Ausgrenzung?

Duketis: Leider ja. Das Verhalten und das Auftreten eines Kindes mit psychischer Erkrankung kann missverstanden werden oder von anderen falsch interpretiert werden. Kinder und Jugendliche können von Gleichaltrigen gemieden werden oder sogar aktiv gemobbt. Das beeinträchtigt das Selbstvertrauen der Kinder, was wiederum die Beschwerden der psychischen Erkrankung verstärken kann. Es kann auch dazu führen, dass Eltern und auch Betroffene aus Angst vor weiterer Stigmatisierung Hemmungen haben, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

 

Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit mit Ausgrenzung und Diskriminierung um?

Duketis: Mit Aufklärung. Diskriminierung basiert in der Regel auf eigenen Fehlannahmen und nicht auf Informationen. Das Umfeld, also sowohl Eltern als auch Lehrer, werden in die Beratung aktiv einbezogen und aufgeklärt, beispielweise bei einer psychischen Erkrankung oder auch zur Bedeutung einer transidenten Entwicklung - letzteres ist im Übrigen keine Krankheit.

 

Wie kann man den jungen Patienten im Umgang mit Diskriminierung helfen?

Duketis: Psychisch kranke Kinder und Jugendliche mit Diskriminierungserfahrung ziehen sich oft zurück und schämen sich. Sie neigen zur „Selbstdiskriminierung“- erleben sich als kaputt und minderwertig. Gespräche in sicherer Umgebung über die eigenen Erfahrungen mit Ausgrenzung, aber auch die Vermittlung von Wissen über psychische Erkrankungen sind hier sinnvoll. Wir helfen auch Patienten dabei, Unterstützungssysteme in der Familie, unter Freunden und in der Schule aufzubauen, die in schweren Zeiten helfen können.

In der Klinik steht die Vermittlung von Techniken zur Stressbewältigung, zu mehr Selbstbestimmung und zur Stärkung des Selbstvertrauens im Vordergrund.

 

Viele Kinder mit Migrationshintergrund haben bereits Krieg, Flucht und möglicherweise Ausgrenzung in ihrer alten und/oder neuen Heimat erfahren müssen. Ist das bei Ihrer täglichen Arbeit ein ganz neues Themenfeld? 

Duketis: Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung, die psychiatrische Hilfe benötigen, sind kein neues Themenfeld in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Im Gegenteil, seit vielen Jahren sehen wir Kinder und Jugendliche, die vor Kriegen, Verfolgung oder anderen bedrohlichen Situationen geflohen sind. Viele machen auf der Flucht selbst traumatische Erfahrungen. Diese Betroffenen können eine Vielzahl von Erkrankungen und Beschwerden entwickeln, von Anpassungsproblemen im neuen Umfeld über Angsterkrankungen bis zu einer posttraumatischen Belastungsstörung.

 

Spielen die Herkunft und die Kultur bei Ihrer Arbeit und bei der Art der Therapie auch eine Rolle?

Duketis: Ja. Wir brauchen Verständnis und Interesse an kultureller Vielfalt – also an Unterschieden an Bräuchen und Werten. Und das erfordert auch eine gewisse „interkulturelle Kompetenz“ bei Behandlern. Das heißt auch, sich aktiv Informationen zu anderen Kulturen einzuholen.

Sprachliche und kommunikative Herausforderungen, falls vorhanden, müssen überwunden werden – zum Beispiel durch Behandler mit nicht-deutscher Erstsprache in unseren Ambulanzen. Bestimmte kulturelle Praktiken können in den Therapieprozess integriert werden – immer in Abstimmung mit Patienten und Familien. Die reale Lebenssituation des Patienten beziehen wir mit ein.

Ein wichtiger Teil für Therapeutinnen und Therapeuten ist auch, sich eigener Vorurteile bewusst zu sein, beziehungsweise sich diese bewusst zu machen. Letztlich liegt der Fokus kultursensibler Arbeit darauf, sicherzustellen, dass die Versorgung individualisiert, respektvoll und effektiv ist. Und zwar unabhängig vom der kulturellen Herkunft.

 

Hintergrund

Die Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Hanau in Hanau ist eine Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie und wurde im November 2020 eröffnet. Sie versorgt heute den westlichen Main-Kinzig-Kreis mit der Stadt Hanau sowie mit ihrer Außenstelle in Dietzenbach den Kreis und die Stadt Offenbach.

Die Klinik nimmt Patienten zwischen Kindergartenalter und Volljährigkeit auf. Es werden seelische Erkrankungen aus dem gesamten Spektrum der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie sämtliche Störungsbilder in allen Schweregraden behandelt. Das Leistungsspektrum der Klinik umfasst

- geplante (teil-)stationäre Behandlungen und auch sogenannte Kriseninterventionen im Sinne einer stationären Soforthilfe bei Notfällen

- bei stationärer Psychotherapie: Neben der medizinischen auch psychologische Diagnostik, Einzel- und Gruppentherapien, Familientherapie (im Sinne einer Unterstützung der Familien bei der Bewältigung), Spezialtherapien, auch um besser auf individuelle Bedürfnisse einzugehen wie Kunsttherapie, Ergotherapie, Logopädie, Ernährungstherapie, Bewegungstherapie

- Im stationären Bereich behandeln wir Kinder und Jugendliche zwischen Grundschulalter und Volljährigkeit, im ambulanten Bereich auch Vorschulkinder.

 

 

 

 

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