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Vitos lehnt Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums ab

Datum:
Fachbereich:
Fachbereichsübergreifend
Gesellschaft:
Vitos Gießen-Marburg gGmbH

Zahlreiche Psychiatrievertreter wehren sich gegen Entgeltkatalog des neuen Vergütungssystems für die Psychiatrie und Psychosomatik (PEEP)

Vitos befürchtet eine massive Verschlechterung der psychiatrischen Versorgung in Deutschland, wenn das Bundesgesundheitsministerium zur Einführung eines neuen Psychiatrie-Entgeltsystems weiterhin die Argumente der Fachverbände ignoriert. Insbesondere chronisch psychisch kranke Menschen müssen mit Nachteilen rechnen.

Das Bundesgesundheitsministerium will entgegen den einhelligen Appellen der Fachleute und der Psychiatrie-Verbände den Entgeltkatalog des neuen Vergütungssystems für die Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) per Rechtsverordnung in Kraft setzen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat ihn aus guten Gründen abgelehnt. Keines der bei der Anhörung am 15. Oktober 2012 von den Fachleuten vorgetragenen Sachargumente wurde aufgegriffen.

Vitos fordert, die Einführung des Systems um zwei Jahre zu verschieben und gleichzeitig die Krankenkassen, Krankenhäuser und die Verbände von Patienten, Angehörigen und Fachleuten zu beauftragen, das Entgeltsystem so zu planen, dass es den Bedürfnissen der Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen gerecht wird.

Wesentliche Fragen noch offen

Vitos hat die Entwicklung eines leistungsorientierten Vergütungssystems mit Tagespauschalen von Anfang an unterstützt. Der PEPP-Katalog des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) hat die bisherige Befürwortung des Systemwechsels der Krankenhausvergütung jetzt ins Gegenteil umschlagen lassen. Vitos hat kein Verständnis dafür, dass bei der Entwicklung eines weltweit einzigartigen vollpauschalierenden Entgeltsystems die fachlichen Hinweise aus der klinischen Praxis völlig ignoriert werden.

Mängel des PEPP-Katalogs

Der PEPP-Katalog weist deutliche Mängel auf und setzt falsche finanzielle Anreize.

1.  Die Klassifikation der Entgelte basiert schwerpunktmäßig auf Diagnosegruppen. Die in der internationalen Literatur der letzten 30 Jahren publizierten Untersuchungen zeigen aber lediglich eine Varianzaufklärung des Ressourcenverbrauchs durch Diagnosen bei psychischen Erkrankungen in einem einstelligen Prozentbereich. Um zu aufwandshomogenen medizinisch definierten Patientengruppen zu gelangen, müssen die tatsächlichen Behandlungsleistungen bei der Kalkulation von Relativgewichten stärker berücksichtigt werden. Diese sind in den OPS-Kodes aber noch nicht ausreichend erfasst.

2.  Die Gewichtung der PEPP-Entgelte entspricht weitgehend nicht der klinischen Erfahrung. So ist es nicht plausibel, dass bei der Behandlung von Patienten gleicher Diagnosen in der Psychiatrie eine verweildauerabhängige Degression vorgesehen ist, in der Psychosomatik aber nicht.

3.  Da charakteristische Behandlungsleistungen der Akutpsychiatrie bisher nicht ausreichend erfasst und damit nicht in die Kalkulation des InEK eingeflossen sind, setzt der PEPP-Katalog Anreize, Patienten mit leichten psychischen Störungen gegenüber schwer psychisch Kranken zu bevorzugen. Das widerspricht völlig dem gesetzlichen Ziel und Auftrag des neuen Entgeltsystems.

4.  Die verweildauerabhängige Degression der Relativgewichte führt zu Anreizen für eine Verkürzung der Behandlungsdauer.

Dies entspricht aber nicht der gesundheitspolitischen Zielsetzung. Leistungsorientierte Vergütung, Förderung der Qualität, Verbesserung der Transparenz, mehr Vergütungsgerechtigkeit und effizientem Ressourceneinsatz<s>,</s> wollte der Gesetzgeber, nicht aber Verweildauerverkürzung.

Die Psychiatrie hat ihre Verweildauer bereits stärker als die Allgemeinmedizin nach der Einführung von Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups (DRG)-Einführung) reduziert.

Vitos geht davon aus, dass die Behandlungszeiten in der Psychiatrie – vor allem in der Psychosomatik – trotzdem noch weiter verkürzt werden könnten. Dazu wäre aber ein funktionsfähiges aufnehmendes ambulantes System erforderlich. Patienten müssen jedoch heute 3 - 4 Monate auf einen Psychotherapietermin warten. Niedergelassene Nervenärzte können mit 60 Euro durchschnittlichen Quartalserlösen keine ambulante Regelversorgung leisten. Die Soziotherapie gilt als gescheitert. Psychiatrische Institutsambulanzen stoßen an ihre Leistungsgrenzen, weil die Gewinnung von Fachärzten mit der Fallzahlsteigerung nicht Schritt halten kann.

In einer solchen Situation Anreize für kürze Verweildauern zu setzen, lässt befürchten, dass chronisch psychisch kranke Menschen in andere Versorgungsbereiche „verschoben“ werden. Angehörige werden mit Problemen allein gelassen und zusätzlich belastet. Sozial-, Jugendhilfe und wohl auch der Maßregelvollzug werden steigende Klientenzahlen zu verzeichnen haben. Länder und Kommunen müssen hierfür finanziell aufgekommen.

Zweifel an Verbesserungspotenzial

Das Bundesgesundheitsministerium setzt offenbar darauf, dass die auch von ihm erkannten Mängel des PEPP-Kataloges im Rahmen der Systemweiterentwicklung, als „lernenden Systems“, beseitigt werden. Vitos hat daran große Zweifel.

Das Deutsche Institut für Dokumentation und Information (DIMDI) nimmt Änderungsvorschläge für die Prozedurenbeschreibung entgegen und hört die Fachverbände an. Seine Entscheidungen bleiben aber letztlich intransparent. Das DIMDI-Verfahren ist zu unflexibel. So hat das InEK beispielsweise ermittelt, dass die Therapieeinheiten keine Kostentrennerfunktion besitzen, worauf die Fachwelt übrigens von Beginn an hingewiesen hat. Trotzdem müssen alle deutschen Kliniken für Psychiatrie auch im Jahre 2013 Therapieeinheiten kodieren. Hierdurch werden den Patienten wertvolle Therapiezeiten entzogen.

Fachgesellschaften der Psychiatrie und Psychosomatik haben kürzlich ein Gewichtungsmodell für die Behandlungsintensität der Patienten entwickelt, das vom InEK als „Quantensprung der Kalkulation“ bezeichnet wurde. Diese Erfahrung zeigt, dass außerhalb der technokratischen Strukturen durchaus sinnvolle Vorschläge zur Systementwicklung erarbeitet werden können.

Grundlegender Wandel in der deutschen Psychiatrie

Genau das soll durch ein zweijähriges Moratorium erreicht werden. Schließlich ist der Abschied vom krankenhausindividuellen Pflegesatz und die Hinwendung zu leistungsorientierten einheitlichen Tagespauschale der grundlegendste Wandel in der psychiatrischen Versorgung der letzten Jahrzehnte. Zum Erfolg eines solchen Veränderungsprozesses – das vermittelt die klassische Lehre vom Change Management – ist es notwendig, alle Akteure einzubinden, Überzeugungsarbeit zu leisten, Vertrauen zu schaffen, Neugier zu wecken und vor allem Geduld zu haben. Diese Attribute kann man dem bisherigen Prozess der Einführung des Psych-Entgeltes nicht bescheinigen.

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