Anders als es das trübe Märzwetter momentan erahnen lässt, sind unter den Kuppeln der Gewächshäuser in der Dr.-Otto-Kahm-Straße schon alle Weichen auf Frühling gestellt: Die Mitarbeiter/-innen der Gärtnerei der Klinik für forensische Psychiatrie Haina bereiten sich seit Wochen auf das nahende Osterfest und die wärmere Jahreszeit vor. Auf dem weitläufigen Gelände hinter dem Hainaer Dorfgemeinschaftshaus gedeihen bereits verschiedene Frühlingsblumen sowie Jungpflanzen saisonaler Gemüsesorten.
Die Philosophie der Gärtnerei
Jörg Winkler ist Gärtnermeister bei Vitos Haina, kümmert sich schon seit gut 20 Jahren um die Bewirtschaftung von 800 Quadratmetern Nutzfläche und betreut Patienten/-innen, die sich im Maßregelvollzug befinden. Auf ihrem Weg in ein straffreies Leben durchlaufen sie mehrere Lockerungsstufen. Rückt die Entlassung näher, haben die psychisch kranken Menschen unter anderem die Möglichkeit, im Rahmen der Ergotherapie in der Gärtnerei zu arbeiten. Aufgrund des gesetzlichen Auftrages bringt der Betrieb einige Besonderheiten mit sich: „Die Therapie steht klar im Vordergrund. Der eigentliche Verkauf selbstgezogener Jungpflanzen ist dabei Mittel zum Zweck: Teamarbeit, eigene Grenzen kennenlernen, Kritikfähigkeit und Kontaktfähigkeit sind nur einige der wesentlichen primären Lernfelder. Bedingt durch diese besonderen Gegebenheiten variiert auch die Menge und Vielfalt der angebotenen Produkte von Jahr zu Jahr“, betont Winkler. Das Angebot in der Hainaer Gärtnerei ist zwar vergleichsweise klein, aber dafür werde alles selbst hergestellt. „Nichts wird hinzugekauft. Alles, was angeboten wird, haben die Patienten/-innen selbst herangezogen – vom Samenkorn an. Auch das Substrat wird von Hand aus dem betriebseigenen Kompost angemischt“, erklärt er.
Ergotherapie: Verantwortung übernehmen und neue Fähigkeiten erlernen
Die Aufgaben der Patienten/-innen sind sehr vielfältig: Neben dem Aussäen, Eintopfen, Gießen, Unkraut Jäten und dem Mischen von Substraten müssen ebenso das Gelände sauber gehalten und der Rasen gemäht werden. Jede/-r wird den eigenen Fähigkeiten entsprechend mit einer Aufgabe betraut und die Einarbeitung erfolgt nach Belastungserprobung Stück für Stück. Bis zu 18 Patienten/-innen gehen in der Gärtnerei einem strukturierten Arbeitstag nach. Doch was für andere Alltag ist, hat für die psychisch kranken Frauen und Männer eine ganz andere Bedeutung: Einer Tätigkeit verlässlich nachzugehen ist für sie ein Schritt in Richtung Entlassung aus dem Maßregelvollzug und hinein in ein selbstständiges Leben. „In der Gärtnerei zu arbeiten heißt, Ausdauer zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen, die gestellten Aufgaben nicht nur korrekt auszuführen, sondern auch mit- und weiterzudenken. Ganz nebenbei werden natürlich auch handwerkliche Fähigkeiten und Fertigkeiten geschult“, sagt Winkler. Es bestehe sogar die Möglichkeit, eine Ausbildung als Gärtner/- in zu absolvieren. „Die Arbeit hier macht großen Spaß. Man darf allerdings kein Problem damit haben, die Dinge immer wieder zu erklären und man muss beobachten, wie die Patienten/-innen mit einer Aufgabe zurechtkommen.“
Mehrere Foliengewächshäuser, Kalthäuser und Frühbeetkästen sowie ein Warmgewächshaus und das Gehölz- und Staudenquartier gilt es zu bestellen. Über das Jahr verteilt werden hier mehr als 20 Gemüsesorten und ca. 80 verschiedene Blumenarten und Grünpflanzen gezüchtet. Aktuell gehören dazu besonders die Jungpflanzen von Karotten, Tomaten, Paprika, Kohlrabi und Salat sowie Stiefmütterchen, Primeln und Hornveilchen.
Positives Feedback für die Patienten/-innen
Gärtnermeister Winkler unterstützen noch drei weitere Teammitglieder, die die Patienten/-innen betreuen und anleiten. Dazu gehört neben Ergotherapeutin Evelyn Isgen und Ergotherapeut Michael Daub auch Jörg Winklers Ehefrau Sabine, ebenfalls Gärtnermeisterin. Ihr Bereich ist seit einigen Jahren das Ladengeschäft auf dem Gelände der Gärtnerei. Der helle und einladend gestaltete Verkaufsraum lässt das Herz von Blumenliebhabern schneller schlagen und ist der Berührungspunkt von Psychiatrie und alltäglicher Lebenswelt – gelebte Inklusion. Sabine Winkler weist die Kund/-innen im Gespräch stets darauf hin, dass alles, was es zu kaufen gibt, von den Patienten/-innen gefertigt oder herangezogen worden ist. „Wir bekommen viel positives Feedback, das ich gern weiterleite, da die Patienten/-innen nicht im Verkauf arbeiten. Sie freuen sich immer sehr über die tolle Rückmeldung und erfahren eine enorme Wertschätzung für das, was sie hergestellt haben“, berichtet Sabine Winkler. „Das beschränkt sich ja nicht nur auf die emotionale Ebene, sondern wird konkret durch den käuflichen Erwerb der Produkte. Menschen zahlen Geld für ihre Kreationen, und das stärkt die positive Selbstwahrnehmung.“ Tatsächlich ist auch jeder Dekorationsartikel ein von Hand gearbeitetes Unikat. Hergestellt werden diese nicht nur in der Gärtnerei selbst, sondern auch parallel in der Beschäftigungstherapie sowie in Schreinerei und Malerei, wo ebenfalls Patienten/- innen tätig sind.