Bei der Behandlung wird mittels eines kurzen Stromimpulses (eine 60 Watt-Glühbirne würde 0,109 Sekunden leuchten) ein künstlicher Krampfanfall beim Patienten bzw. der Patientin ausgelöst. Bei bestimmten psychischen Erkrankungen – etwa chronischen depressiven Erkrankungen oder chronisch psychotischen Erkrankungen – kann durch die Behandlung eine rasche Verbesserung der psychischen Beschwerden erzielt werden. Insbesondere dann, wenn die Erkrankung therapieresistent ist, wenn also alle anderen evidenzbasierten Therapiebausteine wie z.B. Psychotherapie und medikamentöse Behandlung nicht anschlagen.
Herrn W. wurde die EKT zur Behandlung seiner depressiven Episode bei bipolarer Störung bei Vitos Rheingau vor gut einem Jahr angeboten. Er nimmt bereits seit 40 Jahren Psychopharmaka und hat verschiedene Wirkstoffe wie Medikamente ausprobiert. Geholfen habe ihm zuletzt keines davon, berichtet er. Erst durch die EKT habe er eine deutliche Verbesserung gespürt: „Ich hatte neun Einheiten der EKT-Therapie in Folge, drei Mal pro Woche. Ab der vierten oder fünften Therapie ging es mir besser. Inzwischen bin ich in der Erhaltungstherapie und komme nur noch alle sechs Wochen zur EKT, da es mir relativ gut geht.“ Er berichtet, dass er inzwischen wieder mehr am Leben teilnehmen kann. „Ich spüre durch die EKT nur positive Veränderungen. Zum Beispiel träume ich seit 40 Jahren zum ersten Mal wieder und kann mich auch an die Träume erinnern. Das ist ganz neu für mich. Und auch mein Erleben, wie ich Dinge sehe, verändert sich. Das Depressive verschwindet immer mehr“, so Herr W.
Dass die EKT, die in der Vitos Klinik Eichberg seit Anfang 2022 angeboten wird, nicht ausreichend stark verbreitet sei, habe auch mit Stigmatisierungen zu tun, so der leitende Arzt Dr. Bijan Mahabadi: „Grundsätzlich würden wir gerne noch mehr anbieten und hätten mehr Kapazitäten dafür. Vor allem, da die EKT seit Jahrzehnten die wirksamste Behandlung überhaupt in der Psychiatrie ist und eine sehr hohe Erfolgsquote hat. Eigentlich ist es unsinnig, dass die EKT hintenangestellt wird. Das hat mit Logistik und Aufwand, aber auch mit Vorbehalten in der Bevölkerung zu tun.“ Bei der Elektrokonvulsionstherapie sei nicht der kurze Stromimpuls das Wirksame, sondern dieser sei nur Mittel zum Zweck, um über Erregungswellen im Gehirn neuroplastische Prozesse auszulösen. „Die Kurzpulstechnik ist dafür die sicherste Methode“, erklärt Dr. Bijan Mahabadi. „Andere Methoden, eine solche neuronale Erregung im Gehirn auszulösen, zum Beispiel über Medikamente, sind nicht so gut steuerbar und entsprechend nicht so sicher wie die EKT. Außerdem wird das Ganze natürlich unter Überwachungsbedingungen gemacht. Wir überwachen die Funktionen des Patienten oder der Patientin während der Therapie konstant.“
Wie läuft die Elektrokonvulsionstherapie ab?
Zu Beginn jeder Behandlung bekommen die Patient/-innen ein leichtes Narkosemittel. Anschließend wird ihnen ein Muskelrelaxans verabreicht, das dafür sorgt, dass alle Muskeln entspannt sind. Dann wird der kurze Stromimpuls abgegeben, der die synchrone Aktivität vieler Nervenzellen im Gehirn auslöst und die Neubildung von Nervenzellen anstößt. Durch das Muskelralaxans macht sich dies von außen kaum bemerkbar und es finden keine Muskelkrämpfe statt – die Patient/-innen spüren dadurch auch keine Nachwirkungen.Nach nur wenigen Minuten ist die Reaktion an Körper und Gehirn vorbei und die Patient/-innen sind wieder aus der Narkose aufgewacht. Bei Vitos Rheingau sind bei der EKT immer mindestens drei Personen anwesend: ein Anästhesist, eine Pflegefachkraft, die für die Vor- und Nachbetreuung zuständig ist, sowie ein leitender Arzt bzw. eine leitende Ärztin. Häufig ist zusätzlich ein/-e Assistenzärzt/-in vor Ort im Rahmen der Facharztausbildung.
Das EKT-Team bei Vitos Rheingau ist verhältnismäßig klein. Die Mitarbeitenden sind aufeinander eingespielt und es herrscht eine vertraute Atmosphäre, die auch den Patient/-innen Sicherheit gibt. Das merkt auch Herr W. an, als er von seinen Erfahrungen berichtet: „Es ist hier ein sehr familiäres Umfeld. Das hatte ich in der Klinik, in der ich davor in Behandlung war, nicht. Da hatte man jedes Mal einen anderen Arzt und eine andere Schwester. Hier ist das Team immer gleich und das Umfeld ist dadurch sehr positiv.“