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Informationsveranstaltung zum Kalmenhof-Krankenhaus in Idstein

Datum:
Fachbereich:
Behindertenhilfe, Fachbereichsübergreifend
Gesellschaft:
Vitos Rheingau gGmbH

Vitos Rheingau regt Zukunftswerkstatt für das Krankenhausareal an

Vitos Rheingau und die Stadt Idstein führten am 1. April eine öffentliche Informationsveranstaltung zum Kalmenhof-Krankenhaus durch. Der im vergangenen Jahr erstellte Forschungsbericht zur Geschichte des Krankenhauses und der Gräberfelder in seiner unmittelbaren Nachbarschaft sollte der Öffentlichkeit präsentiert werden. Zugleich sollte der Planungsstand des seit 2016 mit der Zukunft der Immobilie beschäftigten Gremiums dargestellt werden.

Es waren über 150 Besucher, die den Weg in den Sternensaal des Kalmenhofs gefunden hatten. Ihnen wurden die Ergebnisse des Forschungsberichts sachlich, aber eindringlich von Christoph Schneider, einem der beiden Verfasser des Berichts, präsentiert. Die Betroffenheit über das Geschehene war im Saal spürbar. Aber auch das Unverständnis darüber, wie schleppend die Aufarbeitung der Ereignisse erfolgte – immerhin liegen sie inzwischen über 70 Jahre zurück –, wurde in den Beiträgen der sich anschließenden Diskussion deutlich.

Dazu nahm der Erste Beigeordnete des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen (LWV), Dr. Andreas Jürgens Stellung. Auch für ihn sei diese noch in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts nur zögerlich und unvollständig erfolgte Aufklärung nicht nachvollziehbar. Er betonte die Entschlossenheit des LWV, diesmal den Dingen vollständig auf den Grund zu gehen, die sich auch im jüngst gefassten Beschluss der Verbandsversammlung zeige. Dort heißt es, der LWV "bedauert die Gräueltaten der Vorgängerinstitutionen und wird weiterhin alles unternehmen, um die Geschichte der nationalsozialistischen Morde weiter aufzuklären und sich für ein ehrenvolles und würdiges Gedenken der Opfer einsetzen".

Der Geschäftsführer von Vitos Rheingau, Servet Dag, betonte, dass eine kommerzielle Nachnutzung mit Gewinnerzielungsabsichten für die Immobilie am Veitenmühlberg nicht in Frage komme. „Gewinner muss der Mensch sein“, bekräftigte er und stellte damit statt dessen eine soziale Nachnutzung in den Fokus. Sodann skizzierte er den Plan einer „Zukunftswerkstatt“, bei der eine möglichst breite Idsteiner Öffentlichkeit Ideen für die Zukunft des Gebäudes einbringen solle. Angedacht ist diese Zukunftswerkstatt in Zusammenarbeit mit der Agentur Kokonsult. Die ersten Ergebnisse sollen bereits nach etwa drei Monaten vorgestellt werden.

In der sich anschließenden Diskussion wurden erste Möglichkeiten formuliert, wobei der Wunsch nach einer Gedenkstätte, gegebenenfalls kombiniert mit einem Museum, deutlich wurde. Zum Abschluss der Veranstaltung meldete sich Dorothea Sick zu Wort. Sie ist die Verfasserin der ersten Studie überhaupt zum Krankenmord im Kalmenhof, die 1983 unter dem Titel „‘Euthanasie‘ im Nationalsozialismus: am Beispiel des Kalmenhofs in Idstein im Taunus“ erschien. Eindringlich plädierte sie dafür, aus dem Gebäude einen lebendigen Lernort zu machen, einen Ort, an dem man durch seine Geschichte anschaulich machen könne, dass man die Schwachen einer Gesellschaft nicht ausgrenzen, sondern im Gegenteil fördern und unterstützen müsse – damit sich eine solche Entwertung menschlichen Lebens nie wiederholen kann.

Hintergrundinformation
Das in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als Isolierstation für die Behinderteneinrichtung Kalmenhof erbaute „Kalmenhof-Krankenhaus“ wurde unter der nationalsozialistischen Diktatur als so genannte Kinderfachabteilung genutzt – ein Euphemismus für Krankenhausabteilungen, in denen behinderte oder psychisch kranke Kinder im Rahmen des „Euthanasie“-Programms der Nationalsozialisten ermordet wurden. Zwischen 1941 und 1945 starben im Kalmenhof wohl rund 700 Kinder. Für die im Kalmenhof ermordeten oder zur Tötung in die Gasmordanstalt Hadamar gebrachten Männer, Frauen und Kinder errichtete der Landeswohlfahrtsverband Hessen (LWV) 1987 hinter dem Krankenhausgebäude eine Gedenkstätte. Das Grundstück der Gedenkstätte ist und bleibt im Besitz des LWV.

Das ehemalige Krankenhausgebäude in Idstein wurde ab 1969 als erste kinder- und jugendpsychiatrische Klinik Hessens genutzt. Sie zog 1974 in einen Neubau auf dem Eichberggelände in Eltville um; eine Station blieb in Idstein vor Ort. Im Zuge der Umwandlung der Eigenbetriebe des Landeswohlfahrtsverbandes in gemeinnützige Gesellschaften mbH im Jahr 2007 wurde die Immobilie am Veitenmühlberg auf Vitos Rheingau übertragen. Kurze Zeit später zog die kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungseinheit in die Robert-Koch-Straße, wo sie sich ein Gebäude mit der Helios Klinik Idstein teilt. Das ehemalige Krankenhausgebäude steht seither leer und wurde bereits wiederholt durch Vandalismus beschädigt.

Forschungsbericht und Gremium
Die beiden Wissenschaftler Dr. Harald Jenner und Christoph Schneider hatten von Januar bis Juni 2018 im Auftrag von Vitos Rheingau und auf Vorschlag des seit 2017 zum Umgang mit der Immobilie Kalmenhof-Krankenhaus tagenden Gremiums die vorliegenden Quellen gesichtet und verfügbare Zeitzeugen befragt, insbesondere zu der ersten großen Bestandsaufnahme zum Kalmenhof in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Im Zentrum ihrer Untersuchung stand die Frage nach der genauen Lage der Gräberfelder des „Kalmenhof-Friedhofs“ und die Frage, in welchen Räumlichkeiten genau sich die „Kinderfachabteilung“ befand. Im Rahmen des Projekts wurden auch die Zeugenaussagen während der Kalmenhofprozesse nach 1945 gesichtet. Insgesamt entstand so ein differenziertes und in Details auch modifiziertes Bild des Mordgeschehens im Kalmenhof-Krankenhaus und des Umgangs mit den Leichnamen der Ermordeten.

Mitglieder des Gremiums, das von Altbürgermeister Gerhard Krum geleitet wird, sind der Geschäftsführer von Vitos Rheingau Servet Dag, Bürgermeister Christian Herfurth, die Fraktionsvorsitzenden der in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Parteien oder von diesen benannte Stellvertreter: Roland Hoffmann (FDP), Sven Hölzel (SPD), Andreas Ott (FWG), Peter Piaskowski (CDU) und Jürgen Schmitt in Vertretung von Anke Reineke-Westphal (Die Grünen). Weiter gehört der langjährige Stadtverordnetenvorsteher Thomas Zarda dem Gremium an sowie Edeltraud Krämer, die Geschäftsführerin der Vitos Teilhabe gGmbH, Dr. Jan Erik Schulte, Leiter der Gedenkstätte Hadamar, die Publizistin Martina Hartmann-Menz, Eberhard Kriews und Pfarrer Kirsten Brast.

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