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Lernen am Erfolg

Datum:
Fachbereich:
Behindertenhilfe
Gesellschaft:
Vitos Teilhabe gGmbH

Maria Aarts stellte im Forum Heilpädagogik in Idstein die Methode „Marte Meo“ zur Unterstützung von Entwicklungs-, Lehr- und Lernprozessen vor

Mit Videoclips aus der Praxis illustrierte Maria Aarts ihren Vortrag
Mit Videoclips aus der Praxis illustrierte Maria Aarts ihren Vortrag

Maria Aarts ist mit 13 Geschwistern aufgewachsen, in einer katholischen Familie, „wo die Kinder kamen, wie sie kamen“. Sechs davon waren Jungs. Bei so vielen Brüdern habe sie gelernt, sich zu behaupten, erzählt die quirlige Niederländerin, inzwischen jenseits der 60. Und noch etwas aus ihrer persönlichen Erfahrung vertraut sie dem Publikum an: Schon mit drei Jahren habe sie immerzu die Leute anschauen müssen und gucken, was sie machen. Ihrer Mutter sei das peinlich gewesen. Sie habe sie immer zurechtgewiesen, die Leute nicht so unhöflich anzustarren. „Aber ich fand alles so interessant, dass ich nicht verstehen konnte, dass die anderen es nicht auch machen. Ich sehe überall phantastische Dinge.“ Sie konnte einfach nicht aufhören mit dem Hingucken. Also hat sie aus dem „Genau-Hinschauen“ und der Freude daran schließlich einen Beruf gemacht, der sie heute um die ganze Welt reisen lässt. Zu Projekten in Indien und Australien, nach Irland, und diesmal zu einem Vortrag nach Idstein im Taunus. Dort stellt sie in der Stadthalle vor mehr als 100 begeisterten Besucherinnen und Besuchern die von ihr entwickelte Methode „Marte Meo“ vor, die Entwicklungs-, Lehr- und Lernprozesse mit einfachen Mitteln und doch sehr wirkungsvoll  unterstützt. Vitos Kalmenhof, die Heilpädagogischen Einrichtungen von Vitos und die Vitos-Akademie haben sie dazu eingeladen - im Rahmen des Forums Heilpädagogik und zum 125-jährigen Bestehen des Kalmenhofs.

 

Maria Aarts hat ihre Methode „Marte Meo“ Ende der 1970er Jahre basierend auf positiven Erfahrungen im Umgang mit autistischen Kindern entwickelt. Das genaue Hinschauen hatte es ihr ermöglicht, mit diesen Kindern gut in Kontakt zu treten. Marte Meo ist aus dem Lateinischen abgeleitet und bedeutet soviel wie „aus eigener Kraft.“

Positive Dynamik 

Maria Aarts Prinzip heißt: Lernen am Erfolg. Um das zu erleichtern, werden alltägliche Situationen zwischen Erziehenden und Kindern, zwischen behinderten Menschen und  BetreuerInnen, zwischen demenziell erkrankten Menschen und Pflegenden mit einer Kamera aufgezeichnet und anschließend ausgewertet. Dabei wird der Blick gezielt auf gelungene Interaktionen und Kommunikationssituationen gelenkt, die den Beteiligten oft gar nicht bewusst sind, die - einmal entdeckt - jedoch eine enorm positive Dynamik entfalten können und wichtige neue Entwicklungsschritte ermöglichen.

Ansätze für neue Entwicklungen erkennen

Die Referentin hat viele Videoclips mitgebracht, um praxisnah zu zeigen, wie einfach ihre Methode im alltäglichen Leben umzusetzen ist – selbst für Menschen, die nicht lesen und schreiben können. Und selbst in Indien, wo sie notfalls auch ohne Videoaufnahmen funktionieren muss, weil oft das notwendige Gerät fehlt, oder der Strom. „Die Leute sagen immer: Die Maria fängt mir ihrer Methode da an, wo wir sind, und nicht da, wo sie uns haben möchte“, erzählt die Niederländerin. Und schiebt gleich das Beispiel einer indischen Mutter nach, die mit ihrem behinderten Kind von der Familie verstoßen wurde, arm und obdachlos ist und sagt: Marte Meo habe ihr Leben besser gemacht, weil sie jetzt mit ihrem Kind viele gute Momente herstellen könne. „Marte Meo ist ein Werkzeug, das hilft herauszufinden, wo die Leute sind, was sie entwickelt haben, und darauf aufzubauen“, sagt sie. „Aber man braucht trainierte Augen, um in komplizierten Situationen Ansätze für neue Entwicklungen zu sehen.“

"Ein Löffel Brei, ein Löffel Liebe" 

Maria Aarts hat viel nachgedacht, um ihre Methode möglichst einfach zu gestalten, hat Checklisten entwickelt, die zu sehen helfen, worauf bei den unterschiedlichsten Aktionen geachtet werden kann, Bücher und DVD’s produziert. Zur Illustration zeigt sie zunächst eine Filmszene, in der eine junge Mutter ihr zwölf Wochen altes Baby badet, das irgendwann die Situation nicht mehr als so wohltuend empfindet. „Hören Sie, wie diese Mama mit dem Baby spricht? Sie sagt, was sie macht, was geschieht. Das schafft Struktur“, erklärt sie. Auch wenn das Baby selbst noch nicht sprechen kann, versteht es alleine aufgrund des Klangs der Stimme, dass nichts Schlimmes droht. Dass es gut aufgehoben ist. Oder in der nächsten Szene, in der ein Vater sein Baby wickelt und anzieht und geduldig jeden Schritt ankündigt.  Oder beim Füttern. Da hat Maria Aarts ein wichtiges Rezept: Ein Löffel Brei, ein Löffel Liebe. Nicht nur reinstopfen, sondern sich Zeit lassen, Kontakt herstellen. Egal ob es ein Baby ist oder ein pflegebedürftiger alter Mensch. Und das gilt auch im übertragenen Sinne: Wer in helfenden Berufen arbeite, brauche auch emotionale Nahrung, positive Erlebnisse, die denen, die geben, etwas zurückgeben. Teams, die mit Marte Meo arbeiten, seien definitiv gesünder, was sich auch in geringeren Fehlzeiten niederschlage, betont die Begründerin der Methode.

Probleme als Entwicklungsbotschaften

„Wir alle sind geboren mit einer Goldmine, auch Menschen mit Behinderung“, ist Maria Aarts überzeugt. Wichtig sei, dass man den Menschen Gelegenheit gebe, sich zu entwickeln. “Wenn man sie Schritt für Schritt anleitet, können die Leute viel mehr, als man denkt.“ Und wenn mal etwas schief geht, dann heißt es: Woppa! So, wie die Mutter es im Video zu ihrem kleinen Sohn sagt, der gerade sein jüngeres Schwesterchen füttert – und es geht etwas daneben. Nicht so schlimm! Sich nicht entmutigen lassen, sagt Maria Aarts. „Wenn man keine Fehler machen darf, kann man sich nicht entwickeln.“ Darum solle man Kindern auch nicht zu viele Probleme abnehmen, sondern ihnen die Möglichkeit geben, selbst zu lernen, mit ihnen umzugehen. „Die 14-Jährige nicht abholen, wenn sie den Bus verpasst hat. Sondern sagen: Ich bin gespannt, wie du das Problem löst.“ Hinter jedem Problem stehe eine Entwicklungsbotschaft, macht Maria Aarts Mut.

"Anfangs Vorbehalte gegen Video-Einsatz"

Und Alexander Kurz-Fehrlé (Pädagogischer Leiter der Heilpädagogischen Einrichtung Riedstadt), Andrea Förster (Mitarbeiterin des Fachdienstes Heilpädagogik) und Marte-Meo-Supervisorin Ruth Liebald können das aus ihrer Praxiserfahrung nur bestätigen. Auch sie haben Videos mitgebracht, die zeigen, wie Marte Meo ihnen geholfen hat, den Blick stärker auf das Gute, das Gelingende zu richten, sich selbst weiterzuentwickeln und damit auch für die Menschen, mit denen sie arbeiten, neue Entwicklungspotenziale zu eröffnen. Für den geistig behinderten Erich beispielsweise, der viele paradoxe Verhaltensanteile zeige, einen wegstoße, obwohl der eigentlich gehalten werden wolle, wie Ruth Liebald gelernt hat. Oder für einen schwerstbehinderten jungen Mann, von dem alle dachten, er sei gar nicht zur Kommunikation fähig, und bei dem durch die Auswertung der Videoaufnahmen jedoch festgestellt wurde: Er nimmt schon Kontakt auf, erst mit Blicken, aber auch verbal. Er braucht nur Zeit. Und die anderen müssen es wahrnehmen.

 

Alexander Kurz-Fehrlé berichtet allerdings auch, dass der Einsatz der Video-Kamera in Riedstadt anfangs keinesfalls nur auf Begeisterung gestoßen sei. „Wenn sie Video ins Spiel bringen, triggert das enorm viel an. Es gibt kaum jemanden, der nicht negative Erfahrungen mit Video gemacht hat“, sagt er. Wichtig sei, dass im Team eine Sicherheit dafür geschaffen werde: „Es geht nicht darum, es gegen mich zu benutzen, sondern das Gelingen zu zeigen.“ Marte Meo sei ein Konzept, das konsequent ressourcenorientiert angelegt sei, betont Kurz-Fehrlé. „Das tut uns in der Behindertenhilfe gut. Marte Meo gibt uns konkretes Handwerkszeug in der Form von Basiselementen, die so simpel sind, dass man denkt: da hätte man ja auch selbst drauf kommen können.“ Genau das ist das Ziel von Maria Aarts: Menschen zu befähigen, „aus eigener Kraft“ möglichst viele Momente eines guten Miteinanders zu schaffen.

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