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Das einzig Zuverlässige ist die Unzuverlässigkeit

Datum:
Fachbereich:
Kinder- und Jugendpsychiatrie
Gesellschaft:
Vitos gGmbH

Vortrag in der Vitos Klinik Rheinhöhe über Kinder in alkoholbelasteten Familien

Sie übernehmen die Rolle der Eltern oder gerieren sich als schwarze Schafe; sie spielen den Clown oder ziehen sich in ihre Phantasiewelt zurück: Kinder in Familien mit einer Suchtproblematik sind in der Regel massiv mit betroffen und benötigen Unterstützung. Dies war die zentrale Aussage eines Vortrags, den die ärztliche Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie von Vitos Rheingau, Dr. Doris Mallmann, zusammen mit Dr. Bettina Speck, Oberärztin in der Erwachsenenpsychiatrie des Unternehmens und der Diplom-Pädagogin und Familientherapeutin Bärbel Debus, Beratungsstelle Usingen des Zentrums für Jugendberatung und Suchthilfe für den Hochtaunus, gestaltete.

Die drei Referentinnen machten klar, dass Sucht in Familien immer alle betrifft, besonders aber die Kinder darunter leiden. Das fängt bei vorgeburtlichen Schädigungen durch Alkoholismus in der Schwangerschaft an und kann bei der Unfähigkeit enden, sich aus dem Elternhaus zu lösen, weil der suchtkranke Elternteil die Kinder zu brauchen scheint und so die altersadäquate Ablösung unmöglich macht.

Alle Referentinnen betonten, dass Alkoholismus eine Krankheit ist, für die die Betroffenen nichts können. Am klarsten sprach das Bärbel Debus aus: „Alle Eltern, mit denen wir in der Suchthilfe zu tun haben, lieben ihre Kinder und wollen im Rahmen des ihnen persönlich Möglichen deren Bestes; und umgekehrt lieben alle Kinder ihre Eltern, wollen sich zugehörig fühlen und loyal sein.“

Häufig ist Alkoholismus beim genaueren Hinsehen gar nicht die eigentliche Krankheit, machte Dr. Speck klar. Die Abhängigkeit entsteht, weil Menschen eine ursächliche Krankheit, etwa eine schwere Depression, durch den Alkohol erträglich zu machen suchen. Insofern ist die Diagnose der eigentlichen Ursache genauso entscheidend wie eine diese Faktoren berücksichtigende therapeutische Strategie. Dabei kann die Einbeziehung der Familie – etwa die Vermittlung einer Beratung oder Therapie für die betroffenen Kinder oder eine Angehörigengruppe –auch für den jeweiligen Patienten von großer Bedeutung sein, weil es ihn von fast immer vorhandenen Schuldgefühlen gegenüber den Angehörigen entlastet.

Wie ergeht es Kindern von alkoholkranken Familienangehörigen?

Ihr Alltag ist häufig gekennzeichnet von Ängsten und Sorgen, Streit, Ärger, Gereiztheit, Trennungsszenarien und sozialer Isolierung. Sie trauen sich nicht, Freunde mit nach Hause zu bringen und vereinsamen dadurch. Die Familiensituation wird als „nicht richtig“ wahrgenommen, daraus entstehen Minderwertigkeits- und Schuldgefühle. Auch extreme Belastungssituationen durch Gewalt, Streit, Übergriffe, körperlichen oder seelischen Missbrauch, Polizeieinsätze, sozialen Abstieg oder Kriminalität kommen vor. Die Konsequenz für die Kinder: Sie stellen eine innere Regel auf: „Rede nicht, fühle nicht, traue nicht“.

Tragisch ist aber nicht nur diese belastete Kindheit, auch die Folgen sind oft gravierend. Fast ein Drittel aller Alkoholkranken hatte einen abhängigen Elternteil; Töchter von Alkoholikern heiraten bis zu zweieinhalb Mal öfter Männer mit einer Suchtproblematik. Wenn man bedenkt, dass es rund 2,6 Millionen Kinder gibt, die zumindest zeitweise mit alkoholkranken Angehörigen leben, wird klar, dass es sich nicht um eine kleine Minderheit handelt.

Hilfe ist schwierig, nicht zuletzt, weil betroffene Kinder oft aus Loyalität den Eltern gegenüber schweigen. Hilfreich kann jedoch vieles sein, was gar nicht gezielt die Lebenssituation verändert, aber das Kind stärkt. Hier können Erzieherinnen und Lehrer, Nachbarinnen oder andere Erwachsene, die in Kontakt mit dem Kind kommen, etwas tun: indem sie dem Kind vermitteln, dass es einen Wert hat, etwas kann, gewollt ist. Hingucken, unterstützen, stärken – und die Eltern einbeziehen, so lautete das zusammenfassende Fazit der Referentinnen.

Die vielen Nachfragen nach den engagierten Vorträgen zeigten das große Interesse der Zuhörer an dieser schwierigen Thematik.

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