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Einen Puffer für Emotionen lernen

Datum:
Fachbereich:
Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
Gesellschaft:
Vitos Herborn gGmbH

Die Psychologin Professor Dr. Svenja Taubner informiert bei der 34. Auflage des Arbeits- und Begegnungsforums der Vitos Klinik in Herborn über eine spezielle Form der Therapie. Die rund 170 Gäste aus Fachkreisen nutzten die Gelegenheit von Vortrag und Arbeitsgruppe, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen.

So einen richtig emotionalen Streit? Den hat fast jeder schon einmal erlebt. Selbst für mental gesunde Menschen hört sich währenddessen manchmal alles nur noch wie Unsinn an, jeder setzt alles daran seinen eigenen Standpunkt durchzusetzen. Argumente des Gegenübers interessieren nicht und gehen unter. „Dabei würde eine Aufnahme im Nachhinein zeigen, dass viele logische Punkte dabei waren“, sagt die Referentin Professor Svenja Taubner während der 34. Auflage des Arbeits- und Begegnungsforums (ABF) der Vitos Klinik Rehberg in Herborn. Mental gesunde Menschen können mit einer oben beschriebenen Situation gut umgehen, anders ist dies bei Kindern und Jugendlichen mit schweren emotionales Störungen und Belastungen.

Taubner ist Direktorin des Instituts für Psychosoziale Prävention der Universität Heidelberg. Ihr Forschungsinteresse gilt einer besonderen Art der Therapie, durch die ein Zugang zu Menschen hergestellt wird, die eine mangelnde Fähigkeit zeigen, sich in andere oder sich selbst hineinzuversetzen. Diese Technik wird als Mentalisieren bezeichnet. Die „Mentalisierungsbasierte Therapie“ (MBT) soll bei diesen Patienten als Puffer zwischen Gefühlen und Handlung fungieren. Taubner ist eine der führenden Vertreter der MBT im deutschsprachigen Raum. Zahlreiche Nachfragen des rund 170 Gäste umfassenden Fachpublikums bereits während Vortrag und Workshop zeigen schnell, dass Thema, Problematik und Beispiele nah an der Arbeitswirklichkeit der zahlreichen Gäste des Forums liegen. „Ich werde diese Idee jetzt für einige meiner Patienten ausprobieren“, bedankt sich eine Psychologin am Ende des Tages bei der Referentin.

Durch Stress schneller am Schaltpunkt

Grob umschrieben geht es bei der Therapie des Mentalisierens darum, dass jeder Mensch in Stresssituationen irgendwann einen Punkt erreicht, in dem rationale Denkstrukturen außer Kraft gesetzt werden. Den sogenannten Schaltpunkt. „Stellen Sie es sich wie eine Wippe vor. Auf der einen Seite der Grad der emotionalen Erregung, auf der anderen Seite die Fähigkeit, sich in sich oder andere Menschen hineinzuversetzen.“  Menschen mit schweren emotionalen Störungen und Belastungen erreichen diesen Punkt um ein Vielfaches schneller. „Wir gehen davon aus, dass dies in einer besonders großen Verletzbarkeit begründet ist“, sagt Dr. Svenja Taubner. Die Gründe dafür sieht sie auch in frühkindlichen Beziehungen. Die ersten Meilensteine für die Fähigkeiten des Mentalisierens werden im sozialen Feedback gelegt. Weint ein Säugling, so geben die Eltern schon allein mit einem passenden Gesichtsausdruck weiter: „Ich verstehe, dass es dir momentan nicht gut geht, aber keine Angst, es wird wieder besser.“ So wird Vertrauen als Fundament für eine stabile Beziehung gelegt. Lässt sich die Bezugsperson von den Ängsten des Kindes anstecken, so führt dies zu einer fehlerhaften Rückmeldung. Das kann eine lange Reihe von Konsequenzen nach sich ziehen: Das Kind interpretiert den eigenen inneren Zustand falsch. „Denn wenn sich jemand von meiner Angst anstecken lässt, dann muss es wirklich ganz schlimm sein“ – mit diesen Worten beschreibt Taubner die wahrscheinliche Reaktion des Kindes. In einem weiteren Schritt wird die Fehlinformation als ein Teil des eigenen Selbst beim Kind gespeichert. Wer in dem fraglichen Alter von drei bis fünf Jahren allerdings keine Beruhigung und Rückversicherung erfährt, der wird weniger aufmerksam für angstauslösende Situationen und lernt keine Strategien zur Regulation. Der Schaltpunkt wird immer früher erreicht.

Entwicklung zu chronischen Symptomen kann verhindert werden

Eine solche Therapieform ist vor allem für Jugendliche mit einer Störung der Affektregulation, wie bei einer Borderline-Erkrankung, geeignet. Hier habe eine Studie gezeigt, dass durch den Einsatz der Mentalisierungsbasierten Therapie bei Betroffenen weniger Selbstverletzung, depressive Stimmungen auftreten und Bindungen nicht mehr so oft vermieden würden. Die Symptome der Grunderkrankung würden abgeschwächt. Da das Hirn bis zum 25. Lebensjahr nicht ausgereift ist, sieht Taubner für einen Heilungsprozess vor allem in der Zeit des Erwachsenwerdens ein Fenster der Gelegenheit. „Nach meinen Erfahrungen kann verhindert werden, dass Symptome chronisch werden“, sagt die Universitätsprofessorin. Wer die Behandlungsmethode anwenden will, muss mit einer sehr aktiven Rolle als Therapeut klarkommen. „Sie muss ganz klar auf die Beziehung von Patient und Therapeut ausgerichtet sein. Keine Vergangenheit, kein Gestern hat eine Bedeutung.“ Um die Verletzlichkeit zu behandeln, die nach der These von Taubner zu einem schnelleren Erreichen des Schaltpunktes führt, müssen also die verletzenden Situationen der Vergangenheit außen vor gelassen werden.

Hintergrund
Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie hat 72 vollstationäre Betten und 67 tagesklinische Plätzen aufzuweisen. Ambulante Einrichtungen gibt es in Herborn, Wetzlar, Limburg, Gelnhausen und Hanau. Psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche vom vierten bis zum 18. Lebensjahr werden dort behandelt. Die jungen Patienten leiden an seelischen Erkrankungen aus dem gesamten Spektrum der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Verhaltensauffälligkeiten, bei denen psychische Ursachen oder Folgen im Vordergrund stehen. Dazu gehören Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Emotionale Störungen, Psychotische und affektive Störungsbilder, Psychosomatische Beschwerden und Essstörungen.
 

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