Ärztliche Direktorin Dr. Beate Eusterschulte informierte die Mitglieder des Gießener Forensikbeirats über die aktuelle Belegungssituation in der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Gießen mit den daraus resultierenden Herausforderungen für das Klinikpersonal. Auch stellte sie die Zahlen und Fakten aus dem Qualitätsbericht 2022 vor. Dieser spiegelt einerseits die herausfordernde Lage im Hinblick auf die Auslastung der Stationen wider und gibt andererseits Aufschluss über Behandlungsdauer, Diagnosen und Entlassungen.
„Wir als Einrichtung des hessischen Maßregelvollzugs sind per Gesetz zur Aufnahme psychisch kranker Rechtsbrecher verpflichtet – jedoch sind unsere Kapazitäten nicht unerschöpflich“, erläuterte Eusterschulte. „Die Belegungssituation stellt unser Fachpersonal vor große Herausforderungen, wie etwa eine gleichbleibende Behandlungsqualität zu garantieren.“ Im August 2023 waren in den forensischen Kliniken in Haina und Gießen 448 psychisch kranke Straftäter/-innen untergebracht, 202 davon allein in Gießen – fast 30 Patient/-innen mehr als im Jahresdurchschnitt 2022. Die Behandlungsdauer betrug in Haina und Gießen für die nach § 63 Strafgesetzbuch untergebrachten Erwachsenen im Durchschnitt 3,14 Jahre; hessenweit liegt die Zahl bei 5,4 Jahren.
67 Patient/-innen konnten 2022 aus der Gießener Klinik entlassen werden. „Wann Patient/-innen entlassen werden, hängt nicht nur vom Behandlungserfolg, sondern auch maßgeblich von den passenden Nachsorgeeinrichtungen ab“, erklärte Dr. Eusterschulte. Gefragt seien individuelle Settings, es dauere lange, bis geeignete Plätze gefunden seien. Plätze in der Eingliederungshilfe wie etwa in Wohngruppen und auch ambulante Versorgungsstrukturen müssten gegeben sein, bevor Patient/-innen die Klinik verlassen könnten. „Daher werden wir uns im nächsten Jahr insbesondere auf den weiteren Ausbau der Kooperation mit der Gemeindepsychiatrie fokussieren, um Schnittstellen gut zu organisieren. Wir sind bereits in verschiedenen Gremien vertreten und widmen uns der konzeptionellen Arbeit.“
Im Verlauf der Beiratssitzung gab die Ärztliche Direktorin außerdem einen Ausblick auf weitere Projekte und Entwicklungen, darunter die Bildung von Teilhabe durch das Erweitern des Bildungsangebotes für Patient/-innen um digitale Lernmöglichkeiten. So könnten Schul- oder Studienabschlüsse während des Behandlungszeitraumes ermöglicht werden.
Bis zum Jahresende 2023 solle darüber hinaus das Safewards-Modell zur Deeskalation und Reduktion von Konflikten und Zwangsmaßnahmen auf allen Stationen der Gießener Forensik ausgerollt werden. Daniel Keck von der Stabstelle Pflegeentwicklung erläuterte als Projektverantwortlicher die Interventionsmöglichkeiten und Zielsetzungen des Modells sowie den Fortschritt der Implementierung.
2024 stehe neben dem Ersatzneubau in Haina auch für die Gießener Forensik eine Kapazitätserweiterung als Reaktion auf die steigenden Patient/-innenzahlen an. Geplant sei die Inbetriebnahme eines weiteren Gebäudes auf dem Campus, in dem nach umfangreicher baulicher Anpassung zwei Behandlungseinheiten angesiedelt würden: „Neben einer zusätzlichen Schnellläuferstation mit 16 Betten wird es dort auch eine Wohngruppe mit sieben Betten geben. Wichtig dabei ist die qualitative vor der quantitativen Erweiterung“, sagte Dr. Beate Eusterschulte. So garantiere die weitere Schnellläuferstation einen reibungslosen Behandlungsfluss für Patient/-innen, die bereits potentiell nach kurzer Behandlungsdauer entlassen werden könnten.
Pflegedirektorin Annegret Peter-Nickel verwies in diesem Zusammenhang auf die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal, insbesondere von Pflegekräften. „Wir konnten in diesem Jahr bereits 28 Neueinstellungen in der Pflege vornehmen, unter anderem im Rahmen einer umfangreichen Personalmarketingkampagne.“ Im Zuge der Rekrutierung sei ein hohes Maß an Erklärung und Aufklärung nötig, um Interessierten die Vorzüge der Arbeit im Maßregelvollzug näherzubringen. „Ein voller Erfolg war auch unser Tag der (nicht ganz so) offenen Tür“, berichtet Peter-Nickel. „Unter anderem nahmen 90 Pflegeschüler/-innen an den Führungen und Vorträgen teil, von denen einige nach der Ausbildung nun die Arbeit im Maßregelvollzug in Betracht ziehen.“ Transparenz zu schaffen und somit ein tieferes Verständnis von der Tätigkeit in einer forensischen Klinik zu ermöglichen, seien für die Werbung von Fachkräften essentiell.
Ein weiteres Thema der Sitzung des Forensikbeirats war der Bericht des Psychologischen Psychotherapeuten Lukas Leufgens über die Teilnahme von vier Gießener Mitarbeiter/-innen am Weltforensikkongress, der in diesem Jahr in Sydney tagte. Im Rahmen eines Symposiums stellten sie aktuelle Behandlungs- und Forschungsschwerpunkte sowie Möglichkeiten zur Verbesserung der Behandlungsplanung vor. „Unsere Kolleg/-innen haben unsere Klinik hervorragend repräsentiert und sehr von diesem fachlichen Austausch profitieren können“, resümierte Dr. Beate Eusterschulte. „Wir freuen uns über den wichtigen Input zu verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten, Neuerungen im Bereich der Risikoprognosen und Ansätze zur Lösung der Belegungsproblematik.“