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Vitos Rheingau gedenkt der Opfer des Krankenmordes während der NS-Zeit

Datum:
Fachbereich:
Fachbereichsübergreifend
Gesellschaft:
Vitos Rheingau gGmbH

Vitos Rheingau veranstaltete zum sechsten Mal seit 2009 am 1. September eine Gedenkstunde an die Opfer des Krankenmordes durch die Nationalsozialisten.

Die jährlich stattfindende Gedenkstunde bezieht sich auf den 1. September 1939. Auf diesen Tag ist der so genannte Euthanasie-Erlass Hitlers datiert, der die Tötung „lebensunwerten Lebens“ legitimieren sollte. Fast 2.300 Menschen wurden in der Folge allein vom Eichberg aus nach Hadamar in die Gaskammer geschickt, rund 500 Kinder in der „Kinderfachabteilung“ (die eine Kindermordabteilung war) ermordet; unzählige weitere Patientinnen und Patienten des Eichbergs wurden Opfer von Gift oder kalkulierter Vernachlässigung. Insgesamt geht die Forschung heute von rund 300.000 Krankenmord-Opfern in Europa aus.

„Wir begehen die heutige Gedenkstunde in einem besonderen Jahr: vor 200 Jahren wurde in den Räumen des gerade säkularisierten Klosters Eberbach die erste stationäre Psychiatrie im Rheingau begründet. Es war die Keimzelle des Unternehmens, das seit 2009 Vitos Rheingau heißt. Die Keimzelle aber eben auch der Heil- und Pflegeanstalt Eichberg, deren Mitarbeiter, Ärzte, Pfleger und Verwaltungskräfte ihre Patienten unter den Nazis nicht mehr heilten, sondern in den Tod nach Hadamar transportieren ließen und später auch selbst ermordeten“, sagte Geschäftsführer Stephan Köhler in seiner Begrüßungsrede. Mit der musikalischen Umrahmung durch die aus der jiddischen Stetl-Kultur stammende Klezmer-Musik werde der Bogen zu den Opfern der Shoa gespannt – jähre sich doch in diesem Jahr auch die Befreiung von Auschwitz zum 70. Mal.

Die Musik – beeindruckend dargeboten von der Gruppe „Klezmers Techter“ – und die beiden Redebeiträge stellten eine Balance zwischen Trauer und Entsetzen auf der einen Seite und der notwendigen Aufklärung über die Verbrechen auf der anderen Seite her. In seinem Grußwort berichtete Professor Claus Meißner als Angehöriger mit bewegenden Worten vom Schicksal seiner Familie, deren zweijähriger Sohn, sein jüngerer Bruder, von den Nazis aus der Familie gerissen und 1941 in der Kinderfachabteilung des Eichbergs ermordet wurde.

Der Redebeitrag von Dr. Andreas Jürgens, Erster Beigeordneter des LWV Hessen, setzte sich mit Ärzten als Tätern auseinander und umriss dabei die „beispiellose Eskalation von Gewalttaten“ seit Beginn des zweiten Weltkriegs, der, so Jürgens, nicht ausgebrochen sei: „Denn Kriege brechen nicht aus wie Naturgewalten – ein Vulkan bricht aus oder Epidemien brechen aus. Kriege werden geführt, also von Menschen gemacht.“

Ohne den Krieg wären weder der Genozid an den europäischen Juden noch die Massenvernichtungsaktionen der Euthanasie möglich gewesen. Die leitenden Ärzte des Eichbergs während der Krankenmordzeit, Dr. Friedrich Mennecke, Ärztlicher Direktor, und Dr. Walter Schmidt, Leiter der Kinderfachabteilung, charakterisierte Jürgens als NS-Karriereärzte, für die der Krankenmord die willkommene Gelegenheit zur beruflichen Profilierung bot. Die Patienten, insbesondere die in der Kinderfachabteilung ermordeten Kinder hatten, so Dr. Jürgens, „das Pech, dass das Interesse an ihren Organen größer war, als die Achtung vor ihrer Würde, ihrer Person, ihrem Leben. Wir sind es ihnen schuldig, dass die Verbrechen, denen sie zum Opfer fielen, nicht in Vergessenheit geraten oder wieder verharmlost werden. Wir sind es allen Opfern schuldig, das Gedenken an ihre Qualen, ihr unendliches Leid, ihre Entwürdigung aufrechtzuerhalten und an nachfolgende Generationen weiterzugeben.“

Im Anschluss an die Redebeiträge gingen Veranstalter und Gäste gemeinsam zum Gedenkstein des Unternehmens, wo eine Patientin des Klinikums den Text des Gedenksteins verlas, und legten dort Rosen für die Ofer nieder.

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