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Ich habe einfach wieder Freude am Leben

„Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen“, sagt Renate G. (Name geändert) über sich selbst. „Selbst mein gutes Geschirr hatte ich zuletzt verschenkt. Ich lag eigentlich nur noch im Bett und habe gehofft, dass ich bald einschlafe.“ Wer der gepflegten Rentnerin heute in der Vitos Klinik für Psychosomatik Weilmünster gegenübersitzt, kann sich das kaum vorstellen. Wer der fast 70-Jährigen im zügigen Schritt durch die Flure und das Treppenhaus des historischen Klinikgebäudes folgt, noch weniger.

Renate's Leidensgeschichte beginnt 1997. Ein Aneurysma, eine Ausbuchtung eines Blutgefäßes, platzt. Fünf Jahre später diagnostiziert man bei der gelernten Heilerziehungspflegerin Spondylose – ein Verschleiß der Wirbelsäule. Sie hat ständig Schmerzen, wird berufsunfähig. In diese Zeit fällt die Trennung von ihrem Mann, weitere private Tiefschläge kommen dazu.

Wenn Du nichts mehr geben kannst, dann kommt auch keiner mehr...

Die Weilburgerin bekommt immer stärkere Medikamente gegen ihre Schmerzen. Irgendwann helfen nur noch Opiate. Renate  wird mehrfach operiert, muss wieder laufen lernen. „Ich war mitten im Leben, aber die Schmerzen haben mir die Kraft genommen“, erinnert sie sich. Als junge Frau hat sie Leistungssport gemacht, später Sportfeste für Kinder organisiert und war in der Lokalpolitik aktiv. Aus alten Freundschaften werden jetzt nur noch kurze Höflichkeitsbesuche. Renate braucht einen extrahohen Rollator, um Stehen und Laufen zu können. Sie trägt eine dunkle Brille, weil sie das Licht sonst zu sehr blendet, kann nicht schlafen und sich nicht mehr konzentrieren.  Ein Arzt vermutet die Lungenkrankheit COPD, ein anderer untersucht auf ALS.

Schmerzen und Psyche hängen zusammen

Immer wieder ist Renate zur Schmerztherapie stationär im Krankenhaus, im Mai dieses Jahres soll ihre komplette Wirbelsäule versteift werden. Sie hört zum ersten Mal davon, dass Schmerzen und Psyche zusammenhängen. Und bittet ihren Hausarzt um Unterstützung, doch der winkt ab. Erst ihr behandelnder Neurologe kennt die Vitos Klinik für Psychosomatik und überweist sie schließlich dorthin. „Wir haben lange diskutiert, ob wir die Patientin aufnehmen können“, sagt Klinikdirektorin Dr. Doris Klinger rückblickend. Zu hoch ist Renate Pflegebedarf, zu unklar ist, ob sie an den Therapien aufgrund ihrer körperlichen Verfassung überhaupt teilnehmen kann. Am 14. November beginnt schließlich ihr stationärer Aufenthalt in Weilmünster. „Ich will endlich weg von den Schmerzmitteln“, sagt Renate im Aufnahmegespräch. 

„Renate war zum Zeitpunkt der Aufnahme stark abhängig. Sie war natürlich kein Junkie, die Sucht war von außen gemacht“, beschreibt Dr. Doris Klinger die Situation. Studien zeigen, dass Opioide über einen Zeitraum von einigen Monaten sehr gut helfen können. Werden sie länger verschrieben, kann sich die Wirkung sogar ins Gegenteil verkehren, die Schmerzen nehmen sogar noch zu. Bei Renate G. werden die Opiate gegen andere Schmerzmedikamente ersetzt, die nicht abhängig machen, dazu kommen leichte Antidepressiva und.

Neben der medikamentösen Behandlung setzt die Psychosomatik auf die Wirkmechanismen der Psychotherapie. In Einzel- und Gruppengesprächen erkennt Renate, wie ihr Lebenslauf und ihre Krankengeschichte zusammenhängen. In patientengerechten Vorträgen lernt sie etwas über Schmerzentstehung und Schmerzbewältigung. Traumatisierende Erfahrungen aus der Kindheit hat Renate's Körper fest im Stresssystem abgespeichert, private Tiefschläge führen jedes Mal zu einer Verschlimmerung der Beschwerden.

„Im Rückwärts-Verstehen das Vorwärts verändern, das ist unser Motto“

Dr. med. Doris Ch. Klinger, Klinikdirektorin
Dr. med. Doris Ch. Klinger, Klinikdirektorin

„Als es mir besser ging, habe ich mir beim Gärtner eine Rose gekauft"

Ein wichtiger Baustein der Behandlung ist die Musiktherapie
Ein wichtiger Baustein der Behandlung ist die Musiktherapie

Klinikdirektorin Dr. Doris Klinger erklärt die Behandlungansätze: "Es geht nicht darum, in der Vergangenheit herumzuwühlen und alte Wunden wieder aufzureißen, sondern zu schauen, was einem hilft, um aus der Situation herauszukommen. Das eigene Selbstwertgefühl steigern, wieder Freude an sich und dem Leben empfinden, gute Bindungserfahrungen, das Gefühl „Da interessiert sich jemand für mich“ – all das hilft heilen". Dazu kommt Bewegungstherapie – Gymnastik, Nordic Walking, Entspannung.

Renate G. macht mit. Erst mit Rollator, dann mit Stöcken, irgendwann ohne alles. Als sie das erste Mal den knapp zwei Kilometer langen Weg von der Klinik bis zum Supermarkt ohne Hilfsmittel schafft, feiert sie. „Als es mir besser ging, habe ich mir beim Gärtner eine Rose gekauft und in mein Zimmer gestellt. Das war meine Belohnung, weil ich es so weit geschafft habe“, erzählt die 69-Jährige und lächelt.

Ein wichtiger Baustein der Behandlung ist die Musiktherapie

„Sie fördert die Schmerz- und Stresshemmung“, erklärt Klinikdirektorin Doris Klinger. Der Schmerzeindruck entsteht im Gehirn im limbischen System, dort, wo die Emotionen sitzen. Musik belegt die gleiche Stelle und kann somit als eine Art Filter gegen Schmerzen fungieren. „Heidewitzka, da gings ab“, beschreibt Renate G. auf ihre Art ihre erste musikalische Therapiestunde. Anfangs habe sie sich nicht getraut, aber heute freue sie sich darauf „wie ein Schneebär“.  „Die Musik macht mich freier. Ich kann schreien, jubeln und hüpfen und habe wieder gelernt, tief einzuatmen“, sagt die gelernte Heilerziehungspflegerin.

Wenn Renate erzählt, strahlt sie, ihre blauen Augen leuchten, ihre gute Laune wirkt auf Außenstehende beinahe etwas überdreht. Aber warum soll man sich nicht freuen wie ein Kind, wenn man sich wie neugeboren fühlt? Ein Fall von Wunderheilung? „Auch wenn wir ähnliche Fälle in der Psychosomatik öfter sehen: Dieser Fall hat mich auch überrascht und sehr glücklich gemacht. Doch die pathologischen Probleme der Patientin sind da und sie sind so massiv, dass sie bei Bewegungen nicht komplett schmerzfrei sein wird“, betont Dr. Doris Klinger. „Aber Frau G.s Schmerzen hätten nicht so schlimm werden müssen – und sie hat heute gelernt, damit ein lebenswertes Leben zu führen.“

Endlich wieder am sozialen Leben teilnehmen!

Renate wird auch nach ihrer Entlassung weiter ambulant in die Vitos Klinik für Psychosomatik nach Weilmünster kommen. Sie will im Alltag weiterführen, was sie in der Therapie gelernt hat und endlich wieder am sozialen Leben teilnehmen. Ob sie sich nun doch wieder ein gutes Geschirr zulegt? „Nein“, sagt die 69-Jährige mit Nachdruck. „Aber ich mache in Zukunft mehr Urlaub! Und ich habe einfach wieder Freude am Leben!“

Rollstuhl und Rollator Adé

Sabrina Brendel freut sich auf ihre Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement. „Mir wurde diese Umschulung vom Berufsförderungswerk Bad Vilbel empfohlen. Ich brauche einen Job, bei dem ich nicht lange auf einer Stelle stehen muss. Meine Beine werden dann schnell müde“, sagt die gelernte Friseurin. Heute kann sie wieder zuversichtlich in die Zukunft blicken. Das war nicht immer so.

An einem Donnerstag im Oktober

Diesen Tag wird die heute 25-jährige gebürtige Schweizerin ihr Leben lang nicht vergessen. „Mein Lebensgefährte und ich hatten einen entsetzlichen Streit. Es flogen die Fetzen, und die Trennung stand im Raum. Ich erlitt einen Nervenzusammenbruch und fing an zu hyperventilieren. Über eine halbe Stunde hechelte ich. Wir wussten uns nicht zu helfen. Plötzlich spürte ich meine Beine nicht mehr. Ab der Hüfte war ich gelähmt. Mein Partner rief einen Krankenwagen, der mich in die Vitos Klinik für Neurologie Weilmünster brachte“, erzählt Sabrina Brendel, die in Usingen lebt.

Sechs Wochen im Rollstuhl

Nach dem ersten Schock, mit gefühllosen Beinen im Rollstuhl zu sitzen, wurden zunächst einmal alle neurologischen Untersuchungen gemacht: unter anderem MRT, CT und Messung der Nervenleitgeschwindigkeit. Es gab keinen positiven neurologischen Befund, aber Sabrina Brendels Lähmung ging nicht zurück. Die Ärzte vermuteten eine psychosomatische Erkrankung und überwiesen sie an die Vitos Klinik für Psychosomatik Weilmünster.

„Ganze sechs Wochen wurde ich dort stationär und zwei Wochen in der Tagesklinik behandelt. Schon nach drei Wochen intensiver psychosomatischer Therapie konnte ich meine Beine das erste Mal ein wenig bewegen. Das Gefühl in den Beinen kam langsam, aber immer ein bisschen mehr zurück“, erinnert sich Sabrina Brendel. Nach sechs Wochen war es dann möglich, den Rollstuhl gegen einen Rollator einzutauschen. 

„Hier wurde mir geholfen“

Sabrina Brendel machte eine Psychotherapie, nahm an Einzel- und Gruppengesprächen, Mal- und Musiktherapie teil. Die begleitende Physio- und Bewegungstherapie konnte sie nur eingeschränkt wahrnehmen, da ihre Beine noch nicht so wollten wie sie. „Aber meine Mitpatienten waren alle sehr nett, haben mich in der Laufgruppe geschoben und mich überall hin mitgenommen“, schmunzelt sie. Allerdings ist die junge Frau auch eine Kämpfernatur. „Ich habe immer wieder selbst Übungen gemacht, bin an Stangen gelaufen und habe mich gequält, damit es vorangeht.“

Übeltäter „Verlustangst“

Ärzte und Therapeuten der Klinik kamen der Ursache für Sabrina Brendels Lähmungserscheinung auf die Spur. Sie leidet höchstwahrscheinlich unter einer Verlustangst mit Blick auf männliche Bezugspersonen. Extreme Verlustängste können massive körperliche Probleme provozieren. Und die junge Frau erinnert sich: „Die Angst, meinen Vater oder meinen Bruder zu verlieren, hatte ich schon in meiner Kindheit.“ Sabrina Brendel redet offen über diese Diagnose. Sie ist heute froh, dass sie weiß, was mit ihr los ist. Das wusste sie vor sieben Jahren nicht. Damals hatte sie nach einem fürchterlichen Streit mit ihrem früheren Freund auch schon mal einen Nervenzusammenbruch mit den gleichen Lähmungserscheinungen. „Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt mit intensiver Physiotherapie und anschließender Reha bin ich zwar wieder auf die Beine gekommen. Aber die Ursache meiner Gefühllosigkeit blieb im Dunkeln. Niemand kam auf die Idee, dass ein psychisches Problem der Übeltäter sein könnte“, erzählt sie.

Jetzt auch ohne Rollator

Aus der Klinik für Psychosomatik wurde sie nach acht Wochen noch mit einem Rollator entlassen. Aber schon gut einen Monat später konnte sie ohne Rollator gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten zu einem Spaziergang aufbrechen. Er ist ihr treu geblieben und mit ihr durch dick und dünn gegangen. Er war nicht nur in die Therapie in der Vitos Klinik für Psychosomatik einbezogen. Auch jetzt steht er Sabrina Brendel bei ihrer ambulanten Psychotherapie zur Seite.

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